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Chad Harbach: The Art of Fielding

Chad Harbachs‘ “Die Kunst des Feldspiels” ist ein ziemlich cooler Roman über Baseball

2011 erschienen, erstürmte „The Art of Fielding” die amerikanischen Bestsellerlisten in einem Paukenschlag. “Die Kunst des Feldspiels”, so der deutsche Titel, verrät auch gleich, worum es hier geht – um Baseball. Ein Sportroman also? Ja und nein. Der Sport dient als Basis, von der Harbach Ausflüge in die amerikanische Seele unternimmt. Vordergründig geht es um den Baseballspieler.

Henry Skrimshander, ein mit Talent gesegneter Spieler auf der Position des Shortstops. Seine übermenschlichen Fähigkeiten sind ihm selbst nicht bewusst, bis ihn Mike Schwartz, Catcher der Westish Harpooners, in sein Collegeteam holt. Es dauert nicht lange, und Henry führt die Mannschaft auf den Zenit, bis das ganze Land von dem sagenumwobenen Shortstop der Harpooners spricht. Doch eines Tages, Henry ist bis dato fehlerlos, entgleitet ihm ein Ball und verletzt einen Mitspieler beinahe tödlich. Dies nimmt ihn so sehr mit, dass er seine Leichtigkeit verliert – er kann einfach nicht mehr genau werfen. Dieses Dilemma zieht weite Kreise und beleuchtet den Menschen hinter dem Baseballspieler, der bisher für niemanden sichtbar war. Harbachs‘ Buch erzählt vom amerikanischen Traum, wie ein Mensch vom Nobody zum Held werden kann. Aber auch von der Angst des Scheiterns und der Selbstfindung von Menschen, die alle, jeder für sich, auf der Suche sind.

Chad Harbach: The Art of Fielding

A Hell of a shortstop
Für die Westish Harpooners läuft es nicht so gut, lief es eigentlich noch nie so gut. An jenem Tag in South Dakota aber haben sie keine Probleme, als sie tief auf dem Land ihren Unterlegenen Gegner besiegen. Mike Schwartz ist die Seele des Teams, und als seine Mannschaft in die Umkleide verschwindet, wird er Zeuge von etwas Außergewöhnlichem. Er sieht einem Spieler der Heimmannschaft beim Training zu, dessen Trainer ihm Bälle zuschlägt. Diese fängt er, jeden einzelnen mit einer von Schwartz nie gesehenen Leichtigkeit und wirft sie einem weiteren Spieler mit einer Urgewalt genau in den Handschuh, jeden einzelnen Ball genau hinein. „The kid tracked them down, … as if he had some foreknowledge of where the ball was headed.” Schwartz spricht den Spieler an, der sich ihm als Henry Skrimshander vorstellt, und fragt ihn, wo er denn spiele in der nächsten Saison. „Now that he’d seen that kind of talent up close, he couldn’t let it walk away.”

Henry Skrimshander
Ohne das Wissen Henrys überzeugt Mike Schwartz dessen Eltern, ihn statt in die Werkstatt aufs Westish College zu schicken. Henry ist nicht für die Collegewelt gemacht, und bevor das Baseballtraining losgeht, vereinsamt er regelrecht. Lediglich von Owen, seinem hochintelligenten homosexuellen Zimmergenossen, erhält er Aufmerksamkeit. Im Unterricht ist Henry wortkarg, bringt sich kaum ein, liest keine Bücher, außer eines, dass er bereits in und auswendig kann. „The Art of Fielding“ von seinem Helden Aparicio Rodriguez , einem Legendären Shortstop. In dem Buch stehen dessen Weisheiten, die Henry alle verinnerlicht hat. „The shortstop is a source of stillness at the center of the defense. He projects this stillness and his teammates respond.“

Baseball

Auf dem Weg zum Helden
Als die College-Baseball Saison beginnt, blüht Henry regelrecht auf. Mike nimmt sich ihm an und unterzieht ihn einem harten Training. Morgens Joggen, spät abends Kraftraum und dazwischen Training mit der Mannschaft. Er fängt an, das Collegeleben zu genießen, was für ihn hauptsächlich aus Baseball besteht. So beginnt die Saison, mit Henry auf der Bank, was ihm nichts ausmacht, jedoch Mike, der ihn unbedingt spielen sehen will. „We need you out there.“ Für ihn, den Großvater des Teams, ist Henry der Schlüssel zum Erfolgt. Als dieser mit seiner Hilfe in einem Spiel eingewechselt wird, wird sein Potential sofort für alle sichtbar.

„Now that he’d seen that kind of talent up close, he couldn’t let it walk away.”

„What he could do was field.” „…he caught the ball cleanly, always, and made, always, a perfect throw.” Durch das harte Training bekommt der schmächtige Jungen bald eine stählerne Statur und ist nicht nur als Shortstop überragend, also in der Defensive, sondern schlägt auch gut. Die Mannschaft gewinnt mit seiner Hilfe mühelos. Von nun an ist Henry der Held des Teams. Der Erfolgt bleibt bestehen und die Westish Harpooners gewinnen alle Spiele dank Henry. Schon bald tummeln sich die ersten Talent-Scouts bei den Spielen, und Agenten professioneller Teams umschwärmen Henry. Dieser erregt große Aufmerksamkeit durch sein absolut fehlerloses Spiel, das ihn immer näher an den Rekord seines Helden Aparacio Rodriguez heran bringt. Alles ist bestens, alles könnte so weitergehen, und Henrys Zukunft als Profispieler wäre gewiss. Doch dann passiert es!

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Die Krise
Genau während jenem Spiels, in dem er dabei ist, Aparicio zu übertrumpfen, macht er den ersten Fehler seines Lebens. Ein Ball entgleitet ihm aus der Hand und trifft seinen Mitbewohner und Mitspieler Owen am Kopf, was diesen um ein Haar das Leben kostet. Ab diesem Zeitpunkt ist das Spiel von Henry, der sich sehr um Owen sorgt, nicht mehr perfekt. Er versteht einfach nicht, warum ihm jener Ball entglitten ist. „…indistinguishable from hundrets of other throws, all of which had been perfect.” Was vorher mühelos und ohne Nachdenken geklappt hat, funktioniert einfach nicht mehr. Er denkt plötzlich nach, wohin er den Ball am besten werfen soll, was er zuvor intuitiv gemacht hat, bricht mit einer Regel Aparicios: „There are three stages: thoughtless being. thought. return to thoughtless being.” Dieses Denken führt zu Fehlern, damit zu immer mehr Unsicherheit, und sein Spiel gerät völlig aus den Fugen. Mittlerweile in allen Zeitungen, berichten diese von Henrys Befall durch das sogenannte Steve Blass Sydrom. Jene Krankheit, die schon viele große Spieler heimsuchte, und welche sich selten davon erholten. Ein Syndrom, bei dem einem Spieler aus mysteriösen Gründen ganz plötzlich jegliche Leichtigkeit verlorengeht. Seine Mitspieler, für die Henry eine Art Vater geworden ist, sind besorgt, und manche fordern leise seine Auswechslung. Mit jedem Spiel, die Harpooners sind mittlerweile auf der Erfolgspur und auf dem Weg zur ersten Teilnahme an der nationalen Meisterschaft, steigt der Druck auf ihn.

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Der Absturz
Während einem entscheidenden Spiel, als sich tausende Zuschauer einfinden, das ganze College, unzählige Scouts, seine Eltern, passiert der Totalausfall. Als Henry einen Ball weiterwerfen möchte, ist er vor lauter Denken nicht mehr in der Lage, diesen überhaupt noch irgendwohin zu befördern. Das ganze Stadion schweigt, als er einfach von Platz geht und sich selbst auswechselt. Das ist der Beginn einer Lebenskrise. Er trennt sich vom Team und versinkt in einer Depression. Zum ersten Mal nun rückt der Mensch hinter dem Spieler in den Vordergrund. Zum ersten Mal in seinem Leben hinterfragt dieser die Bedeutung von Baseball in seinem Leben. War Baseball die ganze Zeit für ihn lediglich ein Medium, perfekt sein zu wollen, in einer Sache? Harbach zeigt hier auch die bittere Realität, dass es kein Mittel zum Erfolg gibt. Henrys harte Arbeit mit dem Plan, sich allmählich zu verbessern, bis er perfekt sei, scheitert an seiner Psyche. Manche Dinge sind eben nicht kalkulierbar. Es gibt kein Rezept, wie man Profisportler wird. „…it was that sameness, that repetition, that gave life meaning.” „…improvng litle by little, day by day, forever.” Enttäuscht wendet er sich nun von Mike ab. Ihm gibt er die Schuld für die Situation, in der er sich befindet. Dieser habe ihn Tag und Nacht malochen lassen, mit welchem Resultat? „He hated him for every weighed stadium he’d made him run. Schwartz had brought him here and now he was fucked.” Mike habe ihn für sich selbst schuften lassen, nicht für ihn. Ohne Mike würde er jetzt in einer Werkstatt arbeiten und wäre nicht hier, vereinsamt am College, depressiv.

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Starke Charaktere
Zu diesem Zeitpunkt bringt Harbach mehrere starke Charaktere in den Fokus der Geschichte, die vorher eher Randfiguren waren. Guert Affenlight, Direktor des Colleges, hat seine homosexuelle Natur entdeckt und sich unsterblich in Owen, Henrys Mitbewohner verliebt. Als Owen von Henrys Ball getroffen wird, löst dies in ihm eine Initialzündung aus, und es entsteht eine Beziehung zwischen Student und Lehrer. Das ruft auch seine Tochter Pella auf den Spielplan. Ein hübsches Mädchen, das die Schullaufbahn vor langer Zeit wider Willen des Vaters geschmissen hat, um einen älteren Mann in Chicago zu heiraten. Sie trennt sich von ihm, um noch einmal neu anzufangen, möchte endlich auf eigenen Beinen stehen und das College fertig machen. Ihr Vater als Direktor kann sie am Westish College unterbringen, und zudem ist es für sie beide eine Möglichkeit, ihr schwieriges Vater-Tochter Verhältnis ins Lot zu bringen. Aufmerksam wie sie ist, kommt sie ihrem Vater und dessen neuen sexuellen Neigungen auf die Schliche. der sich mit der Beziehung mit einem Studenten in eine gefährliche Lage begibt.
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Mike Schwartz
In den Mittelpunkt der Geschichte rückt nun auch Mike Schwartz, der sich in Pella verliebt. Auch hinter seiner Fassade als kräftigster Spieler der Harpooners steckt ein sensibler Charakter. Er hat eine schwierige und harte Kindheit hinter sich und sein Leben war bisher ein einziger Kampf. So zelebriert er das Leiden, im Leben wie auch beim Baseball. Schon viel zu lange schreibt er an seiner Abschlussarbeit herum und hat längst gemerkt, dass er kein herausragender Student ist. Er möchte Anwalt werden und bewirbt sich an den besten Universitäten, von denen er nur Absagen erhält. Pella bewegt ihn zur Selbstreflexion. Ist seine Weigerung, sich an weniger bedeutenden Universitäten zu bewerben, eine Weigerung, das Collegeleben, sein geliebtes Baseballteam zu verlassen, erwachsen zu werden? Überträgt er seine Historie, seine Leidensfähigkeit auf andere, auf Henry, ja definiert er sich sogar durch diesen, indem er ihn durch die Hölle hat gehen lassen, ihn Tag und Nacht trainieren lies? „…he prefered to suffer and was happiest at suffering.” Mike kommt zu dem bitteren Entschluss, dass er keine herausragenden Talente besitzt. Ihn erwartet weder eine Profikarriere als Baseballspieler noch der große berufliche Erfolg. Nur in einer Sache sei er gut, nämlich darin, andere, wie Henry, zu motivieren. „He’d never be as good as he wanted to be, not at baseball, not at football, not at reading greek… .” „…he had no art to call his own.” Mit Henrys Abkehr sieht er seine große Hoffnung schwinden.

„What he could do was field.” „…he caught the ball cleanly, always, and made, always, a perfect throw.”

Fazit
Wie man also merkt, geht es in Harbachs Roman nicht nur um Sport. Dieser ist eher eine Metapher für weitere Zusammenhänge, und auch des Zufalls. Erst der Fehler Henrys bildet das Fundament zur Selbstfindung völlig verschiedener Charaktere in verschiedensten Lebensabschnitten, die alle, jeder für sich, versuchen, sich selbst zu finden. Es ist ein Streifzug durch die amerikanische Collegewelt, ein Buch über die Haltung der Gesellschaft zu Homosexualität und auch, ja natürlich, über den Sport. Über Baseball und den amerikanischen Traum, dass Helden aus dem Nichts entstehen können. Aber auch darüber, wie unverzeihlich jeder Fehler im Spitzensport ist, wie schnell man wieder von der Bildfläche verschwindet, und dass hinter den Helden wahre Menschen stecken. Ein tolles, nachdenklich stimmendes, aber auch sehr lustiges Buch.

Zum Autor
Viele Jahre lang hat der Chad Harbach, geboren 1975 in Wisconsin, an seinem ersten Roman gearbeitet, den zunächst niemand verlegen wollte. Mi Hilfe eines begeisterten Agenten erlangte es jedoch den Ruhm, der ihm gebührt, indem es u.a. von der New York Times zu den besten Büchern des Jahres 2011 gewählt wurde. Harbachs Story zeigt also sehr gut den schmalen Grat zwischen Erfolg und Misserfolg, fast wie im Roman eigentlich. Er hat die Literaturzeitschrift n + 1 mitbegründet und schreibt u.a. über Umweltthemen und Sport.

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Ma San

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