Laufen – die Laktatleistungskurve
Was ich gleich beschreibe, gehört sicherlich zu den grundlegendsten Trainingsprinzipien beim Laufen. Ich spreche von der LAKTATLEISTUNGSKURVE. Das Wissen darüber, wann sich Laktat zu bilden beginnt und jener Punkt, an dem dieses exponentiell ansteigt und durch die Muskeln rast, versetzt einen Läufer in die Lage, das Training nach den Maßstäben maximaler Effizienz auszurichten. Wie bei anderen Trainingsfacetten auch setzt sich auch hier einmal mehr die Erkenntnis durch, dass es auf das WIE ankommt. Nicht auf die Masse, die Quantität – natürlich das auch – , aber eben hauptsächlich auf das WIE! Wer diese Prinzipien versteht und im Training umsetzt, wird besser und schneller werden, sowohl auf Lang- als auch auf Kurzdistanzen. Und jetzt wird’s hier mal richtig wissenschaftlich, viel Spaß!
Was ist Laktat und was macht es?
Erinnere dich an deinen letzten Sprint auf 100 Meter in der Schulzeit. Am Ende standst du sicherlich da mit den Händen in den Hüften, den Oberkörper nach vorne gelehnt. Und wenn du dich ganz genau erinnerst, dann hörst du noch dein eigenes Hecheln nach Luft. Dieses Hecheln ist die Wiedereinholung von Sauerstoff, der dir bei den letzten 50 Metern der Strecke gefehlt hat: Die Frage ist nun: Wenn dir der Sauerstoff gefehlt hat, wie konntest du dann überhaupt weiterlaufen? Grund ist folgender: Der Körper hat verschiedene Möglichkeiten zur Energiegewinnung je nachdem, ob gerade genügend Sauerstoff zur Verfügung steht oder nicht – dementsprechend läuft der Stoffwechsel aerob (genügend Sauerstoff) oder anaerob (nicht genügend Sauerstoff) ab. Bei geringer Belastung greift der aerobe Stoffwechsel, was bedeutet, dass der über die Atmung aufgenommene Sauerstoff verbraucht und Fette sowie Kohlenhydrate verbrannt werden, um die benötigte Energie bereit zu stellen. Prinzipiell nutzt der Körper zur Energiegewinnung die Verbrennung der Mikronährstoffe Kohlenhydrate, Eiweiß und Fett. Was genutzt wird, hängt ab vom Essveralten, der Fitness und davon, ob die Belastung aerob oder anaerob ist. Am wichtigsten aber ist die Verbrennung von Kohlenhydraten (in anderen Worten: Glukose oder Traubenzucker), weil diese sowohl aerob als auch anaerob verfeuert werden können und auch deshalb, weil die roten Blutkörperchen und das Gehirn Energie nur aus Glukose beziehen können. Je intensiver die Belastung wird, desto mehr Kohlenhydrate und desto weniger Fett zieht der Körper heran, was daran liegt, weil der Prozess mit Kohlenhydraten für den Körper einfacher machbar ist. Wird die Belastung dann hochintensiv wie bei dem 100 Meter Lauf, dann passiert folgendes: Schon nach ein paar Sekunden sind sämtliche Energievorräte in den Muskeln erschöpft. Gleichzeitig packen es die Lungen nicht mehr, genügend Sauerstoff für die erforderliche Energiegewinnung den Muskeln zur Verfügung zu stellen, die für die Muskelkontraktion benötigt wird. Und jetzt passiert das Wunder: Unser intelligenter Körper schaltet in den sogenannten anaeroben Stoffwechsel von Glukose ohne Sauerstoffverwendung, um die Belastung zu bewältigen. Noch genauer: Glukose wird über eine sogenannte Milchsäuregärung in Laktat und ATP (Energie) umgewandelt. Ein Gärprozess, der keinen Sauerstoff benötigt. Vorteil: Der Körper hat schnell Energie, die er für die Belastung braucht: Nachteil: Das saure Stoffwechselprodukt Laktat, das sogenannte Endprodukt des anaeroben laktaziden Stoffwechsels, reichert sich so stark an, dass der Leistungseinbruch erfolgt. Die Muskeln, so sagt man so schön, übersäuern durch das Laktat und können nicht mehr weiterarbeiten. Das bedeutet, dass der 100 Meter Lauf in diesem Tempo nicht hätte fortgesetzt werden können. Aus genau demselben Grund kann ein Marathon nicht im Sprint durchgezogen werden. Das anfallende Laktat zwingt entweder zur Aufgabe oder zur Verringerung der Geschwindigkeit.
Laktate Threshold (LT)
Von den genannten Prozessen haben die meisten Läufer bereits Kenntnis, zumindest grob. Laktat wird aber meist primär in Verbindung mit der allseits bekannten Anaeroben Schwelle gebracht. Sprich: Jene hohe Belastung, in der wir uns bei oben genanntem 100-Meter-Lauf befinden oder bei einem Intervalltraining. Laktat bildet sich aber nicht erst bei sehr hoher Pulsfrequenz, sondern auch schon bei niedriger Geschwindigkeit bzw. ab einer bestimmten Pace und einer bestimmten Herzfrequenz, die individuell nach Leistungsstand unterschiedlich ist. Ab einem bestimmten Punkt, ich spreche von der “Lactate Threshold” bzw. “LT“, beginnt die Blutlaktatkonzentration. Trainiert man an diesem Punkt oder darunter, dann wird das Laktat, das sich bildet, vollständig verstoffwechselt und ist nicht messbar. In anderen Worten: Der Energiebedarf des arbeitenden Muskels ist zu 100 Prozent durch den aeroben Stoffwechsel gedeckt, also durch eine fast vollständige Verstoffwechslung von Fettsäuren, was bedeutet, dass eine Belastung in dieser Intensität sehr lange aufrecht erhalten werden kann. Aus diesem Grund werden Läufe in diesem Bereich auch als Fettstoffwechsel-Trainingseinheiten bezeichnet bzw. als langer- oder extensiver Dauerlauf. Über der “Lactate Threshold” bzw. mit Überschreiten der aeroben Schwelle (nicht verwechseln mit der anaeroben Schwelle) passiert nun folgendes: Die aeroben Prozesse allein können nicht genug Energie liefern, so dass das anaerobe System zu greifen beginnt und jenen Anteil an Energie, den das aerobe System nicht packt, zusteuert. Jetzt wird Laktat zum erstem Mal messbar und mit zunehmender Intensität bildet sich mehr und mehr Laktat, das verstoffwechselt wird. Laktat, das sich bildet, muss auch wieder beseitigt- bzw. verstoffwechselt werden, das ist ein laufender Prozess. Und wie ich bereits beschrieben habe, beginnt der Körper damit, mehr Kohlenhydrate im Verhältnis zu Fett zu verfeuern.
Die Anaerobe Schwelle (IAS)
Läufst du nun immer schneller, dann kommst du an jenen Punkt, an dem das gebildete Laktat exakt der Verstoffwechslung entspricht. Jenen Punkt von 4 mmol/l Laktat, den du unter dem Begriff Aerobe/Anerobe Schwelle kennst. Dieser Punkt wird auch als maximales Laktat Steady State oder Fettstoffwechselgrenze bezeichnet. In anderen Worten: Es handelt es sich um die maximale Intensität, bei der das Laktat-Fließgleichgewicht aufrechterhalten werden kann. Überschreitest du diese Anaerobe Schwelle, dann reichert sich Laktat an und übersäuert deine Muskeln. Sie ermüden und es kommt zum Leistungseinbruch, womit wir wieder beim oben genannten 100-Meter-Lauf sind, der eben nicht in dem Tempo fortgesetzt werden kann.
Die Laktatleistungskurve
Was ich dir jetzt zeige, ist eine Laktatleistungskurve, wie sie bei einer Leistungsdiagnostik gemacht wird. Dabei läuft der Läufer auf einem Laufband mit zunehmender Intensität und das Laktat wird mittels Blutabnahme aus dem Ohrläppchen fortlaufend bestimmt. Dadurch werden die Lactate Threshold und die IAS exakt bestimmt. Also jener Moment, an dem Laktat zuerst ins Spiel kommt und auch jener, an dem dieses nicht mehr vollständig verstoffwechselt werden kann und es zur Muskelübersäuerung kommt. Dabei einsteht die berühmte Laktatleistungskurve, die seit jeher wesentlicher Bestandteil zur Bewertung der individuellen, sportlichen Leistungsfähigkeit ist. Schaut man sich nachstehende Kurve an, dann sieht man, dass bei diesem Läufer hier bei einer Geschwindigkeit von 11.5 Km/h bzw. einer Pace von 5:13 und einem Puls von etwa 82 auf den Kilometer Laktat gemessen werden kann. Ab diesem Zeitpunkt steigt der Laktatpegel nun an, immer mehr Laktat wird verstoffwechselt, bis die Laktatkurve schlagartig nach oben schießt, um bei einem Puls von 100, einer Geschwindigkeit von 14 km/h bzw. einer Pace von 4:17 auf den Kilometer die IAS, die Anaerobe Schwelle zu erreichen. Die Laktatleistungskurve könnte indvidueller kaum sein. beispielsweise ist es bei mir so, dass die LT bei niedrigerer Geschwindigkeit und auch Puls liegt, die IAS dagegen bei ähnlichem Tempo, aber viel höherem Puls.
Mit der Laktatleistungskurve arbeiten
Mit dem Wissen um die LT und die IAS kann man nun arbeiten. Die im Diagramm farblich hervorgehobenen Flächen stehen für Trainingsbereiche, in denen zum einen langsame und mittlere Läufe und zum anderen Tempo- und extensive Tempoläufe optimalerweise stattfinden. Maximale Effizienz erlangt man dadurch, indem vor der LT sowie an und über der IAS trainiert wird mit einem Hauptgewicht des Trainings vor der LT. Ich möchte dir verdeutlichen, was da dahinter steckt und lass uns mit der IAS beginnen. Mit einem Schwellentraining, also einem Training an der IAS, die sich ganz grob im Bereich 88 bis 92 Prozent der HF Max abspielt, werden die sogenannte Laktattoleranz, die Sauerstoffaufnahme und auch die Ausdauerleitung erhöht, was bedeutet, dass im Ergebnis eine höhere Pace bei gleichem Puls möglich ist, ohne in den (zuvor noch) anaeroben Bereich zu geraten. Sprich: Die IAS verschiebt sich und je fortgeschrittener der Läufer ist, lassen sich 10 bis 21K locker im Schwellenbereich laufen bzw. bis zu etwa 90 Minuten. Die zeitliche Begrenzung kommt daher, weil irgendwann die Kohlenhydratspeicher einfach leer sind. Diese Trainingsintensität ist die höchste, die längerfristig durchgehalten werden kann und empfiehlt sich erfahrenen Läufern, die über genug Grundlagenausdauer verfügen und über eine starke Läuferphysis, weil die Verletzungsanfälligkeit rapide steigt und man ein Verständnis für das richtige Maß dieser Art Training mitbringen muss. Denn – harte Einheiten sind nur so gut wie die Regenerationsphase danach. Es sind letztere, die für die Formsteigerung sorgen, nicht die Einheit selbst. Eine Möglichkeit, eine Laktatschwellenerhöhung zu erreichen, ist der Tempolauf an der Laktatschwelle. Das heißt, Laktat wird zwar gebildet, steigt aber nicht exponentiell und zwingt nicht zum Abbruch: Die Schwelle lässt sich entweder über einen Test ermitteln oder muss schlichtweg erspürt werden. Messfühler sind Distanz und Empfinden dabei. Erstere sollte lang sein, d.h. ich sollte in der Lage sein, lange so zu laufen. Kann ich das nicht, war ich bereits über der IAS. So etwas braucht viel Erfahrung.
Gleiches gilt für Einheiten oberhalb der IAS. Hier greift komplett das anaerobe System, dass heißt die Energie wird ohne Sauerstoff bereitgestellt und Laktat gebildet, sodass diese Intensität nicht mehr längerfristig, sondern nur kurz aufrechterhalten werden kann. Ein Intervalltraining, ein Fahrtspiel sind hier beliebte Methoden und der Benefit liegt darin, dass die effizientere Verstoffwechslung von Sauerstoff sowie der schnelle Laktatabbau durch die Muskeln trainiert wird. Sowohl ein Training an als auch über der IAS steigert die Laktattoleranz und den Muskelaufbau, was bedeutet, dass in der Regenerationsphase eine schnellere Laktatreduktion erfolgt als zuvor. Die Laktatschwelle zu optimieren wiederum bringt Vorteile für lange und kurze Läufe gleichermaßen. Erstere lassen sich länger ohne Ermüden laufen, bei letzteren kann eine höhere Pace gelaufen werden.
Während nun bei schnellem Tempo Kohlenhydrate verfeuert werden, bietet sich das Training unter bzw. bis zur LT an, die Grundlagenausdauer zu verbessern. Wie bereits erwähnt greift hier der aerobe Stoffwechsel, was bedeutet, dass der über die Atmung aufgenommene Sauerstoff verbraucht und Fette sowie Kohlenhydrate verbrannt werden, um die benötigte Energie bereit zu stellen. Je langsamer ich laufe, desto mehr Fett wird herangezogen und desto weniger Kohlenhydrate, die bekanntlich begrenzt sind. Es wird also trainiert, möglichst lange Fett zu verfeuern und möglichst spät Kohlehydrate. Arbeite ich nun konsequent an der LT und der IAS, dann flacht die im Diagramm abgebildete Kurve weiter ab und verschiebt sich auf der X-Achse nach rechts. Das heißt, sowohl die LT als auch die IAS werden erst bei höherer Geschwindigkeit erreicht. Und das wiederum heißt, du bist schneller bzw. läufst den ursprünglichen Level wesentlich lockerer.
Fragen, Anregungen? Schreib mir!
Empfehlenswerte Texte auf meinen Seiten, die für dich bestimmt von Interesse sind:
- Mein Weg nach Athen – eine Marathon-Geschichte
- Christopher McDougall – Born to Run: Ein vergessenes Volk und das Geheimnis der besten und glücklichsten Läufer der Welt (Buchrezension)
- Adharanand Finn: Der Aufstieg der Ultraläufer (Buchrezension)
- Vom ersten Schritt bis zum Marathon – und wieder zurück
- Scott Jurek: North – Finding my way while running the Appalachian Trail
In diesen Artikeln hier stelle ich Schuhe mit geringer Sprengung für High-Speed vor sowie andere, empfehlenswerte Ausrüstung
- Ein Feedback über den Kinvara 12 von Saucony
- Der Altra Escalante 2.5
- Die Vibram Five Fingers
- Die Garmin Fenix 6s Pro
Unter der Kategorie AUSRÜSTUNG stelle ich noch viel mehr Ausrüstung vor, die ich selbst getestet habe und für empfehlenswert halte!
3 Kommentare
Pingback:
Tarik
Toller Beitrag! Vielen Dank. Ich habe angefangen mich damit auseinanderzusetzen. Meint LT liegt bei HF 128/min, was relativ hoch ist, da dies bei mir fast die Grenze zwischen GA1 und GA2 ist. Mein IAS liegt bei HF 144/min.
Bedeutet das, wenn ich für längere Läufe trainieren möchte, ich unter HF 128/min bleiben muss, um im GA1 zu verbleiben? Danke!
MaSan
Hi Tarik,
ja genau! Ab der LT wird schon Laktat ausgestoßen und ab hier wird die Laktatkurve steiler. Vor der LT wird mehr Fett zur Energiebereitstellung verwendet, danach sukzessive weniger. Den Großteil des Longruns und die langsamen Läufe generell läuft man idealerweise unter der LT oder nah dran (kann auch n bisschen drüber sein). 80% der Läufe sollten langsam sein. Du kannst auch den LDL mit Speed koppeln, z.B. mit Endbeschleunigung oder Fartlek-mäßig, geht auch (typisches Konzept nach Peter Greif). Die schnellen Einheiten machen 20% aus und die läufst du entschieden schnell, d.h. entweder Schwellenlauf wenn Dauerlauf (bis 21K) oder voll anaerob (bei Intervallen). Damit verschiebst du die Schwelle und steigerst die Laktat-Toleranz. Und die Mitte, diese halbherzig gelaufenen Läufe im Puls-Mittelfeld, die lässt du weg, weil die wenig bringen und du trotzdem regenerieren musst (weil zu schnell). Bei meinem Marathontraining gerade mache ich das auch genauso, entweder easy oder volle Kante. Die meisten Läufer machen genau diesen Fehler, sie halten sich im komfortablen Puls-Mittelfeld auf. Sie sind bei schnellen 10ern und HM dann zu langsam und für den Marathon fehlt die Grundlagenausdauer.
Lieben Gruß
Martin