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Unter Mönchen – Das Labrang-Kloster in Xiahe

Vom Mecca Chinas bis zu einem heiligen Ort weit im Westen des Landes, dem Labrang-Kloster in Xiahe

Der junge Mönch beachtet mich überhaupt nicht, warum sollte er auch. Wer bin ich denn, dass er mich beachten sollte? Ja, wer bin ich eigentlich – diese Frage werde ich mir noch oft stellen in den nächsten Tagen. Nicht, dass ich hierhergekommen wäre, um das herauszufinden, nein. Vielmehr ist es dieser Ort, der mich das fragt. Mit seinem feuerroten Gewand blickt der Junge in den Tempel, aus dem tiefe, betende Stimmen, es müssen hunderte sein, ertönen. Schließlich erhasche ich einen Blick durch die offen stehende Tür, vor der sich die vielen Schuhe der Mönche türmen. Im Inneren ist es sehr dunkel, und nur langsam nehmen meine Augen die Umrisse der vielen Mönche war, die dicht nebeneinander den kompletten Boden des Raumes einnehmen. Sie scheinen wie in Trance versunken – manche bewegen sich sachte und her – während sie ihre Gebete sprechen. Ich bleibe noch eine Weile neben der Tür stehen und höre zu, vergesse sogar die Eiseskälte um mich herum, und schaue über die Dächer hinweg in die Berge. Wie viele werden es wohl sein? Als ich mich umdrehe, ist der Junge weg. Nur seine Schuhe stehen noch da.


Karte: Xiahe liegt im ehemaligen Nordosten Tibets

Lanzhou
Schon der Weg vom Flughafen Lanzhou zum Busbahnhof in der Stadt ist abenteuerlich. Als wir von der Empfangshalle ins Freie treten, rennt eine Armee von Taxifahrern auf uns zu und wirft uns kreischend Preise an den Kopf. Man weiß spätestens jetzt einmal wieder, dass man nicht mehr in Shanghai ist, nicht mehr in Peking. Nein, das hier ist das echte, wilde China. Erst mal 500% herunter handeln, das hat sich bewährt. Der Fahrer wendet sich empört ab, bis er, als er merkt, dass bei uns nix zu machen ist, mit einem Lächeln den Deal besiegelt. So läuft das hier. Auch wenn man die Preise kennt, verhandelt wird immer! Am Bahnhof steigen wir einem lokalen Reisebus zu, der uns aus der Stadt hinaus bringt, und aus dem Fenster sehe ich nur wieder eine dieser so vielen Millionenstädte dieses Landes, die so identitätslos erscheinen. Der Fahrer hat den Fernseher, wie immer, auf volle Lautstärke gedreht. ‘Transformers’ läuft, ein Film, in dem Autos sich in riesige Golliats verwandeln und auf sich einprügeln, auch das sehr typisch chinesisch. Immer, wenn der Bus auf unserer fünfstündigen Fahrt anhält, startet der Film von neuem, was aber niemanden der Passagiere im Geringsten stört. Wie sagt doch noch einmal gleich ein chinesisches Sprichwort: „Kann man nix machen.“ Als Routinier habe ich natürlich Ohropax dabei und finde trotz des ganzen Theaters ein wenig Schlaf.

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Blick über Linxia, das von Bergen umgeben ist (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Linxia
Linxia, ein Zwischenziel auf unserer Reise nach Xiahe, ist ein wilder Ort. Das Schauspiel, was sich hinter der Glasscheibe abspielt, als sich unser Bus am Abend immer langsamer werdend ins Zentrum vorarbeitet, hat es in sich. Überall hängen die toten Körper toter Schafe vor den Häusern, das Fell ist schon abgezogen, und das tropfende Blut läuft die Straße hinab. Überall unterhalten sich vergnügt Frauen, die in der Hocke vor großen Eimern sitzen, in denen sie die Gedärme der Tiere waschen. Männer kreuzen hier und da das Schauspiel, ziehen große Wägen mit Obst und Gemüse hinter sich her, mal ganz langsam schlendernd, mal in großer Eile. Manche sind gerade dabei, ihre Häuser mit Brettern für die Nacht fertig zu machen, und treiben ihr Vieh hinein, die die Nacht im Haus verbringen. Dies ist eine sehr arme Gegend, die so gar nichts gemein hat mit der reichen Ostküste. Die Menschen hier, ihre Gesichter, ihre Kleidung, sie sehen ganz anders aus als jene, die man aus den berühmten Großstädten kennt. Viele Männer bedecken ihre Köpfe mit kleinen weißen Hüten als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zur Hui-muslimischen Minderheit.

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Hui-Chinesen erkennt man an ihren einprägsamen Hüten (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Das Mecca Chinas
Linxia, das sogenannte Mekka Chinas, gilt seit Generationen als eines der kulturellen, religiösen und kommerziellen Hauptzentren der muslimischen Gemeinde in ganz China. Es ist ein schöner Abend, und nachdem wir in unser Hotel eingecheckt haben, machen wir noch einen Spaziergang zur Wanshou Guan Pagode am Stadtrand, von wo aus man einen herrlichen Blick über die Stadt hinweg in die Berge der Umgebung hat. Durch die abendlichen Straßen dieser Stadt zu laufen, hat etwas Berauschendes. Überall dampft es aus den Töpfen, in denen Leute ihre Suppen, Eintöpfe, Nudeln oder Wan Tans zum Verkauf anbieten. Das Gesundheitsamt in Deutschland würde jeden einzelnen Laden wohl sofort dicht machen. Wir entscheiden uns für Wan Tans eines Händlers, die wir in kleinen Plastikstühlen am Straßenrand essen. Es sind die besten, die ich je gegessen habe.

Karte: Die Reise geht weiter nach Bingling

Die Grotten von Bingling
Als ich früh am nächsten Morgen die Gardinen meines Zimmers aufziehe, ist der große Platz vor dem Hotel voll mit Menschen, es sind hunderte. Sie machen Tai Chi, und durchschneiden in langsamen Bewegungen die frische Morgenluft. Das ist die chinesische Art, den Tag zu beginnen und es wird mir wieder einmal klar, wie anders diese Kultur doch von der unseren ist, wie ungleich intensiver und komplexer ihre Beziehung zum eigenen Körper, zum Geist ist. Ein Klopfen an der Tür bringt mich in die Gegenwart zurück. Mein Reisegefährte signalisiert mir, dass das Taxi wartet, und kurze Zeit später sind wir schon auf dem Weg zu den Grotten von Bingling. Am Ufer des Liujiaxia wird mal wieder verhandelt, diesmal um den Preis der Überfahrt über den See. Der Fahrer ist hartnäckig und ein knallharter Verhandler, doch letztlich bekommen wir unseren Platz in seinem Boot. Nachdem wir nach einer dreiviertel Stunde das andere Ufer erreichen, biegen wir in den Gelben Fluss ein, der sich Stück für Stück in eine gewaltige Berglandschaft hinein schlängelt.

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Bingling liegt in einer fantastischen Berglandschaft (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Nach einer Stunde ist unser Ziel erreicht, die Grotten von Bingling. Zehntausend Buddha Höhlen wird dieser Ort in der tibetischen Sprache genannt, denn er beheimatet eine der am besten bewahrten Kollektionen der buddhistischen Höhlenkultur in ganz China. In hunderten in Stein gehauenen Grotten befinden sich unzählige Steinfiguren. Die Lage inmitten von steilen grotesk anmutenden Klippen und grünen Hügeln verleiht diesem Ort noch mehr Ausdruck, als er ohnehin schon hat. Die ersten Buddhisten, die sich etwa 400 n.Chr. die Klippen hinab seilten, um mit den Meiselarbeiten zu beginnen, hatten wohl einen Sinn für Dramatik. Wir sind jedenfalls ganz aus dem Häuschen und laufen stundenlang die Felswände entlang, um uns die vielen Figuren anzusehen. Der ultimative Höhepunkt ist eine 27 Meter hohe in eine Felswand gehauene Maitreya-Statue.

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Die Meitreya-Statue ist fat 30 Meter hoch (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Xiahe
Es ist Zeit, zum Höhepunkt unserer Reise aufzubrechen, nach Xiahe. Von Linxia  dorthin ist es nicht mehr weit, und als unser Bus die einzige Straße des Ortes entlang rollt, die ihn zugleich in zwei Teile schneidet, merken wir sofort, dass wir an einem besonderen Ort angekommen sind. Nachdem wir den Stadtteil der Han-Chinesen hinter uns lassen, ändert sich das Stadtbild schlagartig, als wir den tibetischen Teil erreichen. Dort entlässt uns der Bus in die Freiheit, und es tut gut, die frische kühle Bergluft einzuatmen. Wir befinden uns auf fast 3.000 Metern Höhe, und so manchem, der hier ankommt, setzt das schon ein wenig zu. Wäre Xiahe nicht von Bergen umgeben, man könnte fast meinen, sich im wilden Westen zu befinden. Die niedrigen Häuser auf beiden Seiten der Straße wirken saloon-artig mit ihren Holzvertäfelungen, den bunten Farben und Balkonen im ersten Obergeschoss. Die alten Autos wirbeln den Staub der trockenen Straße auf, und die Sonne brennt über dem wolkenlosen, meerblauen Himmel. Auf dem Weg zum Hotel begegnen wir den ersten Mönchen, die in kleinen Grüppchen am Straßenrand entlanglaufen. Würdevoll sehen sie aus in ihren roten Gewändern, den kahlgeschorenen Köpfen und den wachen, freundlichen Augen. Aber auch andere Menschen begegnen uns. Es sind Pilger, die sich von überall herkommend hier einfinden.

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Die Hauptstraße von Xiahe (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Ort der Kontroverse
Alles ist friedlich, bis wir die die Stimmen eines Soldatenkommandos vernehmen, das im schnellen Gleichschritt in unsere Richtung läuft. Nicht mehr weit weg von uns biegen sie plötzlich in ein sich öffnendes Tor ab. Ein Mönch, dessen Weg die jungen Soldaten kreuzen, muss warten, bis die Gruppe vorbei ist. Ich beobachte ihn genau, er beachtet die Männer nicht, nicht im Geringsten. Als sie vorbei sind, geht er seines Weges. Bevor sich das Tor wieder schließt, erblicke ich die großen Fahrzeuge des Militärs, die in im Innenhof geparkt sind.

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Das Militär demonstriert seine Macht (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Es sind Wasserwerfer und machen uns klar, dass Xiahe ein Ort der Kontroverse ist. Viele Unruhen hat es hier gegeben, denn die Stadt beherbergt eines der wichtigsten buddhistischen Klöster außerhalb Tibets, das Labrang-Kloster . Als während den olympischen Spielen die Tibeter in Lhasa aufbegehrten gegen die Chinesen, die viele als Besatzer ansehen, kam es auch hier zu Gewalt. Menschen setzten sich auf offener Straße in Brand. Seitdem rüstete China auf in der ganzen Himalayaregion, und deswegen ist es auch hier, das Militär, und läuft mehrmals täglich die Straße auf und ab, mit Helmen, Schilden, Wasserwerfern. Wir haben Glück, dass wir hier sein dürfen, denn nicht selten ist die Einreise für Touristen streng verboten.

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In Labrang leben etwa 3.000 Mönche (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Das Labrang-Kloster
Nachdem wir unser Hotel ausfindig machen, wovon es nicht viele gibt in der kleinen Stadt, laufen wir zum Ende der Straße zu unserem eigentlichen Ziel, dem Labrang Kloster. Dieses ist nicht etwa ein einziges Gebäude, vielmehr ist es ein riesiger Komplex am Stadtrand von Xiahe , bestehend aus über vierzig Tempelhallen und mehr als 500 Kapellen, Gebetszellen, Bibliotheken Universitätsgebäuden, Schlafstätten, einer Druckerei und vielen anderen Gebäuden. 1709 erbaut, gehört es zu den sechs größten Klöstern der Gelugpa, jenen Buddhisten mit den markanten gelben Mützen. Damals, als  Xiahe noch im nordöstlichen Tibet lag und noch nicht in der südwest-chinesischen Provinz Gansu, in das es von den Kommunisten einverleibt wurde, lebten hier 3.000 Mönche. 1958 wurde es von den Machthabern, die nicht gut auf den in ihren Augen Aberglauben zu sprechen waren, geschlossen, um sich erst wieder in den 1970er Jahren dem Tourismus zu öffnen. Seit jeher ist Labrang eine höhere Lehranstalt des tibetischen Buddhismus. Junge Novizen, die auf Entscheidung ihrer Eltern ins Kloster geschickt werden, werden in den Studienfakultäten Mathematik, Astronomie, Medizin, buddhistischer Theorie und anderen Fächern unterrichtet. Gegründet wurde die ‘Residenz eines großen Lamas’, denn das bedeutet Labrang , von dem Jamyang-Shepa namens Ngawang-Tsöndrü, einem Schüler des 5. Dalai Lamas. Die Reinkarnationslinie der Jamyang-Shepa sind seitdem die traditionellen Häupter des Labrang-Klosters. All das macht Labrang so wichtig und zum bedeutendsten Kloster außerhalb Tibets.

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Blick über Xiahe (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Pilger
Das ist auch der Grund, warum Pilger von weither hierher kommen. Als wir uns dem Kloster nähern, sehen wir einige von Ihnen. Frauen mit Pechschwarzen Haaren, die in zwei geflochtenen Zöpfen unter eleganten Hüten hinabfallen. Röcke und Strickjacken in wunderschönen Farben, die Gesichter gegerbt von der Höhe, von eisigen Winden und der harten Arbeit, die das Leben in dieser armen Gegend prägen. Brillen mit riesigen runden Gläsern, hinter denen große dunkle Augen in großer Überzeugung ihren Weg suchen. Dieser Weg führt um die Tempelanlage herum, entlang der  inneren Kora, dem inneren Pilgerweg. In einer Art Laubengang sind Gebetsmühlen angeordnet, eine nach der anderen. Die Mühlen sind mit Mantras, Gebeten verziert, und das Drehen einer solchen dient dem Anhäufen von gutem Karma , denn durch ihre Bewegung wirken die Mantras zum Wohle aller fühlenden Wesen, deren Leid sie beseitigen und denen sie Glück bringen sollen.

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Pilger umrunden Labrang (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Mehrmals laufen sie um Labrang herum, wer weiß, wie oft, und drehen diese Gebetsmühlen. Bevor wir selbst ins Innere der Klosteranlage gehen, wollen wir diesen Weg ebenfalls gehen, doch in gebührendem Abstand zu den Pilgern. Man sieht Ihnen die Strapazen des Weges an. Manche gehen den Weg zielstrebig, schnell, viel schneller als wir. Manche scheinen sich mit letzter Kraft vorwärts zu bewegen. Einen alten Mann sehe ich – wie alt mag er sein, achtzig, neunzig – der so arm aussieht, so gebrechlich, dass er eine Mühle nur noch mit aller letzter Kraft drehen kann. Danach läuft er mit seinem Stock zittrigen Ganges weiter zur nächsten Mühle. Wie lange wird er wohl brauchen, denke ich, um alle Mühlen einmal zu drehen, einen Tag, zwei? Am liebsten würde ich ihm helfen, aber dies ist nicht meine Welt, dies ist nicht mein Glaube. Den Weg säumen auch sogenannte Stupas, in denen Reliquien des Buddhas aufbewahrt werden, die die Pilger mehrmals im Uhrzeigersinn umrunden. Manche werfen sich sogar auf den Boden und kriechen auf Knien drum herum. Mir kommen fast die Tränen vor Demut und Ehrfurcht vor diesen Menschen, wer sind wir, wir Europäer, wir Amerikaner, wir Westler, für wehleidige Jammerlappen diesen Menschen gegenüber?

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Die Pilger drehen eine Gebetsmühlen nach der anderen, auch wenn es den ganzen Tag dauert (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Gebete, die zum Himmel fliegen
Wir verlassen den inneren Pilgerweg auf den äußeren, der Labrang in großem Bogen umkreist, um einen Eindruck von der Umgebung zu bekommen. Dabei laufen wir eine Weile einen steilen Hang hinauf, von wo aus man einen tollen Blick auf die Klosteranlage hat. Auf der Anhöhe passieren wir einen Stab, der mit Seilen stabil gehalten wird, an denen Gebetsfahnen im Wind flattern. Bis zur Verwitterung werden die mit Mantras verzierten Fahnen hier wehen, um dem Himmel ihre Gebete zuzutragen. Als wir weiter gehen, kommen wir an mehreren kleinen Boxen vorbei, die vereinzelt im Hang stehen. Sie dienen den Mönchen als Einzelgebetskoyen, in die sie sich ganz für sich allein zurückziehen können.

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Ein typisches Kostrukt zum Aufhängen von Gebetsfahnen (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Kurz bevor der äußere wieder in den inneren Pilgerweg übergeht, sehen wir in der Ferne einen Ort für Himmelsbestattungen, dem wir uns nicht weiter nähern dürfen. Diese Art der Bestattung ist in Tibet weit verbreitet und wird mangels Brennholz und der harten, oft gefrorenen Erde wegen angewandt. Nachdem ein Lama dem Leichnam aus dem  tibetischen Buch der Toten vorliest, wird dieser vor Sonnenaufgang zum Bestattungsplatz gebracht, wo er von Leichenbestattern zerteilt und innerhalb kurzer Zeit von Geiern gefressen wird. Dem tibetischen Glauben nach wird der Tote so ins Bardo getragen, einem Zustand zwischen Tot und Wiedergeburt. Wir haben genug für heute und heben uns die Klosteranlage für den nächsten Tag auf.

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Viele Menschen sind sehr arm, was sie aber nicht daran hindert, hierher zu kommen (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Unter Mönchen
Der Himmel ist nebelbedeckt am Morgen, als wir Labrang betreten. Nach Norden hin, wo sich das Gelände anhebt, blasen gerade zwei Gelbkappenmönche in lange Dung Chen,Trompeten, die eine buddhistische Zeremonie ankündigen. So beginnen die Tage hier in Labrang. Die vielen  nicht asphaltierten Wege werden nun mit zahllosen Mönchen belebt, die in verschiedene Richtungen strömen. Ein junger Mönch führt uns durch die Anlage, erzählt uns von den unterschiedlichen Fakultäten, von Medizin und Pflanzen. Wir werden in eine Gebetshalle geführt, in der hunderte Mönche dicht an dicht nebeneinander sitzen. Sie beten, und wippen dabei sachte hin und her. In Stille hören wir dem tiefen Röhren und Murmeln ihrer Stimmen zu, die sich scheinbar immer weiter in eine Trance begeben.

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All unsere Ziele wie Karriere, Familie, persönliches Glück, spielen für diesen Jungen keine Rolle (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Als wir so den ganzen Tag durch den Komplex spazieren, werden wir noch oft die Stimmen der Gebete vernehmen. Manchmal sind die Türen der Gebetshallen verschlossen, manchmal aber auch geöffnet, um die Pilger an den Zeremonien teilhaben zu lassen. Vor den Türen sitzen diese dann, und lauschen in tiefer Andacht. Wir besuchen auch eine Druckerei, in der in traditioneller Manier auf Holztafeln gedruckt wird. Mantras, Gebetsfahnen , alles Mögliche wird hier produziert. Das prächtigste und größte Gebäude des Klosters ist die sechsstöckige Maitreya-Halle, die eine 10 Meter hohe Statue des zukünftigen Buddhas beherbergt. Auch hier innerhalb Labrangs umrunden hunderte Pilger jede einzelne Gebetshalle, jede Stupa im Uhrzeigersinn.

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Mönch der Gelugpa (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Später werden wir noch Zeuge einer ganz speziellen Zeremonie. Vereinzelt betreten junge Mönche einen Platz, setzen sich in kleinen Grüppchen zusammen, teils alleine. Sporadisch brechen sie in eine Art Jubeln oder Lachen aus, strecken die Arme von sich und biegen sich langgestreckt von einer Seite zur anderen. Irgendwann taucht eine Art Oberhaupt auf, und Stück für Stück rücken die Mönche nun über einen langen Zeitraum hinweg immer dichter zusammen, bis sie in einem vollendeten Halbkreis sitzen.

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Die Gelugpa bei einer Zeremonie (Bild: MaSan/Martin Seibel)

Was bleibt?
An unserem letzten Tag beschließen wir, uns ein Taxi zu mieten und die Umgebung zu erkunden. Allein durch die sattgrünen Grasebenen zu fahren, ist die Reise schon wert. Wir befinden uns im Übergang des weiten Graslandes, das sich von hier aus in die innere Mongolei erstreckt, und dem beginnenden tibetischen Hochplateau. An diesem Tag werden wir viel fahren, durch diese Landschaft, und uns satt sehen an den Grüntönen der Ebenen. Wir werden einige Klöster sehen und Dörfer, in denen die Häuser aus Lehm gebaut sind, und mit Mönchen sprechen über ihren Glauben und Traditionen. All das soll nun nicht mehr Thema dieses Textes sein, der einmal mehr länger geworden ist, als ich es gedacht habe. Ich meinerseits denke noch heute oft an meine Begegnungen in Xiahe, über die Armut der Menschen, ihre problematische Beziehung zu den Chinesen, ihren unerschütterlichen Glauben. Und dann denke an das Wohle aller fühlenden Wesen, auf das deren aller Leid beseitigt werden möge und ihnen Glück widerfahre.

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Die Umgebung Xiahes ist wunderschön (Bild: MaSan/Martin Seibel)

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Ma San

2 Kommentare

  • Ulrike

    Hallo,
    da konnte ich doch nicht widerstehen und hab schon mal geguckt. So wie Du schreibst bekomme ich dne Eindruck, als habe sich seit 1992, als ich in Xiahe war, nicht viel geändert.

    Ich werde noch weiter schauen.
    LG
    Ulrike

  • MaSan

    Hallo Ulrike,

    vielen Dank für deinen Kommentar. Wie du siehst, ist meine Seite noch jung und gerade im Zuge, etwas lebendiger zu werden. Umso wichtiger ist der Kontakt mit anderen Chinainteressierten wie dir – Deswegen, vielen Dank!

    Als wir nach Xiahe gereist sind, hatten wir Glück. Denn mal darf man, mal darf man nicht einreisen, je nachdem wie die Stimmung so ist. Die Anreise war damals noch ziemlich mühsam und, daran kann ich mich erinnern, es erwähnte irgend jemand den Bau eines Flughafens unmittelbar bei Xiahe. Ob der schon fertig ist, ich weiß es nicht. Wenn ja, dürfte es wohl sehr touristisch zugehen in Xiahe mittlerweile.

    Lieben Gruß,
    Martin

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