Adharanand Finn: Der Aufstieg der Ultraläufer (Buchrezension)
Zu Beginn möchte ich Egon Theiner (egoth Verlag) danken. Für dieses spannende Thema, auf das er mich aufmerksam gemacht hat, dieses tolle Buch und nicht zuletzt für die Bilder, die diesen Text zum Leben erwecken.
„Der Teufel flüsterte mir ins Ohr: Du bist nicht stark genug, dem Sturm zu widerstehen. Ich flüsterte zurück: Ich bin der Sturm!“ (Buchauszug, Zitat von Azara García)
Was Adharanand Finn eines Morgens im Büro widerfährt, hat bestimmt der ein- oder andere Marathoni bereits in ähnlicher Form selbst erlebt. Ob er tatsächlich nur Marathons laufe, wird er gefragt, als er zuvor die Fragen verneint, weder Triathlet oder Ultraläufer zu sein. Finn ist ein Sub-3-Stunden-Marathoni, etwas, zudem die aller wenigsten Läufer in der Lage sind. Und da bekommt er von einem dahergelaufenen Kollegen ohne Affinität zum Laufsport die Anerkennung für diese außergewöhnliche Leistung aberkannt. Woran liegt das? Nun: Wie es scheint, erfahren in die Extreme tendierende Sportarten und Aktivitäten jedweder Art gerade eine Hochkonjunktur. Die Welt wird von Teenagern im Alleingang umsegelt, der Boden des Mariannengrabens besucht, die Meerengen der Welt ohne Hilfsmittel durchschwommen, der El Capitan wird free solo beklettert, und selbst am Mount Everest herrscht mittlerweile Massentourismus, als ob es das Normalste auf der Welt wäre, dort in der Midlife Crisis hochzusteigen. Und auch die Zeiten, so scheint es, sind vorbei, in denen man mit einem unter drei Stunden gelaufenen Marathon jemanden beeindrucken kann. Ein Ultramarathon muss es also sein! 100 Kilometer mindestens, besser noch mehrere Tage in krassestem Terrain. In der Sahara, der Antarktis, im Death Valley, Hauptsache krass und am absoluten Limit. Die Zahlen unterlegen diesen Trend. Der Ultramarathon verzeichnet eine der weltweit am stärksten ansteigenden Teilnehmerzahlen. Wie jeder andere Marathoni, der etwas von der Materie versteht, hält Adharanand Finn von dieser Art des Laufens zunächst einmal eines – gar nichts! Mit Laufen, das er mit der Eleganz eines Eliud Kipchoge verbindet, habe das überhaupt nicht zu tun. Schließlich beeindrucke der Ultra lediglich durch die Distanz, nicht primär durch die Zeit, in der dieser zurückgelegt werde. Nicht ernst zu nehmen aus Sicht eines echten Läufers, so der Verdacht. Denn – eine Distanz jedweder Länge zurückzulegen, ohne der Zeit Beachtung zu schenken, dass könne jeder Jogger. Finn bringt es auf den Punkt: „Ultra Running war, als drösche man so lange auf das Laufen ein, bis es fast tot war.“ Wenn der Ultra aber nichts mit Laufen im klassischen Sinne zu tun habe, was war es dann? Trotz erster Zweifel nimmt Adharanand Finn, Journalist bei den Financial Times, auf Einladung am Oman Desert Marathon teil. Nach sechs Tagen Dahingeschleppe und Flucherei durch die Wüste bei 40 Grad schwört er sich, so etwas Dämliches nie wieder zu machen. Zu Hause angekommen, lässt ihn das Erlebte aber nicht mehr los. Irgendwas war da, nur was? Wer sind diese Menschen, die diesen Sport betreiben und was ist es, was sie dabei suchen? Aus dieser Frage entsteht eine zweijährige Reise rund um den Globus zu den spektakulärsten Rennen dieser Welt.
Zach Miller und andere Verrückte
Zach Miller lebt auf einer Berghütte in 4.000 Metern Höhe. Seine Zeit verbringt er damit, Holz zu hacken, das ist gut für die Kraft. Wenn er das nicht macht, läuft er durch die Berge. Was heißt hier läuft – er rennt, in einer irrsinnigen Pace. Bevor er hier lebte, arbeitete er auf einem Kreuzfahrtschiff. Legte dieses an einem beliebigen Hafen an, setzte Miller zu einem Gewaltlauf zum jeweils ambitioniertesten Punkt am Zielort an und schaffte es immer rechtzeitig vor dem Ablegen zurück. Seine Rennen geht er oft ohne Strategie an, rein intuitiv, trägt einfache Kleidung und eine 5-Dollar-Casio Armbanduhr am Handgelenk, das war’s. Zach Miller gehört zur Weltelite der Ultraläufer, und wer ihn in einem Youtube-Video (wird weiter unten gezeigt!) laufen sieht, wird mir sicherlich zustimmen, einem der talentiertesten Athleten diesen Planeten bei der Arbeit zuzusehen. Denn ja, er lebt von dem, was er da tut. Und möglich macht dies das ungebremste Wachstum dieser Sportart, in der dieser Mann einen Heldenstatus innehat. Sponsorengelder ermöglichen ihm – Miller ist bei Nike unter Vertrag – seinen Alltag fast ganz dem Laufen zu widmen. Dort oben auf der Hütte bekommt er regelmäßig Besuch von Menschen, die ihn bewundern. Sie pilgern hinauf, um eine paar Worte mit ihm zu wechseln und um verdutzt festzustellen, wie zurückhaltend und freundlich dieser Mann tatsächlich ist. Auch Adharanand Finn stattet ihm einen Besuch ab. Die beiden plaudern in entspannter Atmosphäre. Finn stellt tolle Fragen und erhält faszinierende Antworten, wie: „Es spricht wirklich viel dafür, alles im Leben zu geben“, oder auf die Frage, warum er so gerne laufe: „Es kommt dem Fliegen am nächsten!“ Und im Anschluss nimmt ihn Miller mit auf einen Lauf. Gleich hier entpuppt sich die Besonderheit dieses Buches. Finn hat die Gabe, in einer gänzlich unbeschwerten Art auf Menschen zuzugehen und erhält auf diese Weise einen erstaunlichen Einblick in das Innere dieses und vieler anderer Ausnahmeathleten.
„Ein Grund, warum Leute an solchen Veranstaltungen teilnehmen, ist, dass sie ihre Komfortzone verlassen und die Härten des Lebens am eigenen Leib erfahren, um danach wieder nach Hause zu gehen und das, was sie haben, besser zu schätzen wissen.“ (Buchauszug)
So ungewöhnlich und verrückt Millers Karriere anmutet, so finden sich viele Parallelen und gleichermaßen unglaubliche Geschichten und Werdegänge bei Finns weiteren Gesprächspartnern, mit denen er sich an vielen Orten dieser Welt unterhält. Ihre Namen: Tom Payn, Sage Canaday, Elisabeth Barnes, Jim Walmsley, Scott Jurek, vielleicht allen voran Kilian Jornet. Mit drei Jahren turnt er auf Berggipfeln herum. Heute trainiert er im Schnitt 1.200 Stunden im Jahr und legt dabei 600.000 Höhenmeter zurück. In seinem Projekt Summits of my Life besteigt bzw. erstürmt er die berühmtesten Gipfel der Welt auf Geschwindigkeit, inklusive den Mount Everest. Fast unnötig zu erwähnen, dass er dabei weder Fixseile noch Sauerstoff benötigt. Beim Ultramarathon du Mont Blanc, dem Rennen der Rennen in der Ultraszene, liefern sich Jornet, Miller und seinesgleichen in Regelmäßigkeit ein Rennen über 160 Kilometer in einer Pace, in der Topläufer Marathons angehen. Nur eben vier Mal hintereinander, bei Minusgraden und in einem der krassesten Terrains, das man sich vorstellen kann. Das klassische Vorurteil vieler Marathonis, Ultraläufer verstünden nichts vom Laufen, wird also völlig entkräftet. Viele von Finns Gesprächspartnern sind ehemalige Topläufer, oft Sub-2:20-Stunden-Marathonis, denen lediglich das letzte Quäntchen zur Olympiateilnahme fehlt. Durchaus enttäuscht von den fehlenden Karrierechancen beim Marathon wenden sie sich dem Ultra zu und hieven diesen Sport in ein absolut neues Niveau, welches nichts mehr zu tun hat mit jener Freakshow, die sie vor einer guten Dekade durchaus einmal war. Im Ultra-Traillauf entdecken sie ihre Liebe zum Laufen neu und entwickeln Lebensmodelle abseits des Nine to Five Jobs, indem ihnen Sponsorengelder ein Leben als Vollzeitathleten ermöglicht. Das Laufen inmitten unberührter Natur macht ihnen viel mehr Spaß als einfach immer Straßenmarathons zu laufen und wird vom Zwang zum Vergnügen. Ja, sie leben ihre Träume.
Eine Reise durch die Welt der Ultramarathons
Bei der Begegnung mit Zach Miller ist Finn seinem Ziel bereits die ersten Schritte näher gekommen – kein Geringeres als die Teilnahme am Ultramarathon du Mont Blanc, dem Stern am Ultrahimmel. Um hier dabei zu sein, bedarf es Qualifikationspunkten aus mehreren, erfolgreich beendeten Ultramarathons. Hinter ihm liegen die Wüste Omans sowie ein 55 Kilometer-Lauf in Devon und damit erste Erkenntnisse über die Welt der Ultras. Diese sind keine wirklichen Rennen für ihn, sondern regelreche Abenteuer in der Wildnis. Neuland für ihn ist auch, dass er sich im Vergleich zum Marathon keine Gedanken um Geschwindigkeit macht, sondern die Läufe ganz locker und ohne jeglichen Druck angehen kann. Ebenfalls neu ist die Erkenntnis, dass seine Marathonqualitäten bei einem Ultra bedeutungslos sind im Angesicht dieser unglaublichen Härte dieser Rennen. Beide genannten Läufe beginnen mit hohen Ambitionen, die sich in Windeseile relativieren, bis es nur noch ums nackte Überleben geht, also ums bloße Durchkommen. Aus einer anfänglichen Flucherei über dämliche Regeln wird ein Gewaltmarsch und daraus eine Art existentielle Krise. Doch beim Miwok 100 – die Ziffer steht für die Kilometeranzahl – , den er jetzt angeht, passiert etwas Neues. Es gelingt ihm, sich aus dieser Krise, in die man – das weiß er mittlerweile – immer hineingerät, zu befreien. Sein Körper bezieht gegen Ende des Rennens, welches stolze zwölf Stunden dauert, neue Kraft. Doch woher? Kann es sein, dass der Schmerz, der scheinbar über alle Distanzen hinweg ausdehnbar ist und kein Limit zu kennen scheint, reine Kopfsache ist?
„Den meisten Menschen ginge es besser, wenn sie mehr Schmerz in ihrem Leben hätten.“ (Buchauszug)
Warum tut man sich so etwas an?
Antworten auf diese Fragen erhält er mitunter durch seine Gesprächspartner. Ultramarathons schienen einen besonderen Typ Mensch anzusprechen: „Nicht ganz klar im Kopf vielleicht, aber auch offen, freundlich und warmherzig“, schreibt er halb scherzhaft, aber irgendwo auch halb im Ernst. Die Abenteuerromantik und dieser „raus in die Wildnis Minimalismus“ treibt sie an, dem urtümlichen Ruf, hinauszugehen, zu folgen und sich an den verrücktesten Orten dieser Welt zu versammeln. Dieser Aspekt dürfte für jeden verständlich und nachvollziehbar sein. Doch da ist ein wesentlicher, weiterer Aspekt, über den man sich im Klaren sein muss. Die Wildnis, so anziehend sie auch ist, konfrontiert diese Läufer mit einem extrem anspruchsvollen Terrain. Und in Verbindung mit den unglaublichen Distanzen, die hier zurückgelegt werden – ab hundert Kilometern aufwärts – entsteht eine Grenzerfahrung, die ihresgleichen sucht. Eine Konfrontation mit einer gehörigen Portion Schmerz und Leid, die bis hin zur mentalen Selbstzerstörung reicht. Das Groteske – genau das möchte ein Utraläufer erleben.
„War es uns, denen es gut geht im Leben, ein Bedürfnis, Leid zu erfahren? (Buchauszug)
Die Menschen, so Finn, würden sich danach sehnen, zum Märtyrer zu werden, die Schmerzen herbei sehnen. Wollten wissen, wie es ist, trotz gebrochenem Bein weiterzulaufen. Wollten in diesen tierähnlichen Zustand geraten, in dem es unterm Strich nur noch ums Überleben geht. Ja, durchaus narzisstische und masochistische Bedürfnisse seien das, den Schmerz genießen zu wollen, diesen als Lusterlebnis zu empfinden und letztlich zu bewältigen. Sich der Zerstörung zu stellen um siegreich daraus hervorzugehen, darum ginge es. Das also ist die mentale Facette eines Ultras, die sehr viel zu tun hat mit dem Sieg des Geistes über den Körper. Um das zu schaffen, das lernt Finn, kommt es sehr auf das Erleben des Ist-Zustandes an, dem Hier und Jetzt, was einem im Gegenzug das Gefühl gibt, am Leben zu sein. Es taucht der Verdacht auf, ob es tatsächlich möglich sein könnte, dass das Leiden an sich womöglich ein Teil des Glücklichseins sein könnte.
„Sobald du den gegenwärtigen Augenblick ehrst, wird sich alle Traurigkeit und Anstrengung auflösen und das Leben wird mit Freude und Leichtigkeit beginnen zu fließen.“ (Buchauszug, Zitat von Eckhardt Tolle)
Leid und Schmerz
Mit Leid und Schmerz jedenfalls macht Finn jetzt so richtig Bekanntschaft. Es geht nach Südafrika, – zum größten und ältesten Ultra der Welt, dem Comrades Marathon – wo der Ultra keine neue Nischensportart ist, sondern lang gelebte Tradition. Dann kommt der Ring of Fire in Wales mit 135 knallharten Meilen in drei Tagesetappen, die ihn in den absoluten Abgrund des Ertragbaren führen. Er führt Selbstgespräche, wimmert in der Nacht, vernimmt die Schreie von Läufern, die völlig am Ende sind. Es folgt ein 24-Stunden-Rennen. Kein Trail-Ultra diesmal, sondern Runde für Runde in einem Stadion, in dem es keinen Berg gibt, keinen Gegner, den man besiegen kann, nur sich selbst. Ein Rennen, in dem es nur darum geht, im Augenblick zu bleiben, weil alles andere unerträglich wäre.
“Sie tauchen immer ganz plötzlich aus der Dunkelheit auf, wie ausgemergelte Überlebende eines furchtbaren Martyriums“ (Textpassage über den 100 Meilen Sud de France Ultra)
In Südfrankreich durchläuft er zum ersten Mal – 39 Stunden ist er unterwegs – auch die Nacht, stellt sich seinen Ängsten, erlebt Halluzinationen. Er kommt in einen Zustand, in dem Zeit keine Rolle mehr spielt. Auch hier erlebt er diesen Abgrund, aus dem er sich befreien muss und letztlich wieder diesen Break Even Point, an dem der Körper die Kraftreserven wieder frei gibt. Die Schmerzen verpuffen, eine regelrechte Renaissance des Körpers und eine große wiederkehrende Lust tritt ein. Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass tatsächlich der Kopf der Schlüssel ist, einen Ultra zu meistern, die Fähigkeit, im Moment zu bleiben, nicht an das Ziel zu denken, um letztlich Schmerzen verblassen zu lassen. Und dann kommt schließlich der Tag, beim Lavaredo Ultra Trail, an dem er einen 21 Stunden Ultra routiniert bewältigt, ohne an den Rand der Selbstzerstörung zu gelangen. Finn ist vom Marathoni zum waschechten Ultraläufer geworden und bereit für die ultimative Prüfung, dem Ende seiner Reise, den UTMB.
“An einem Punkt bleibe ich stehen und wage einen Blick nach hinten, wo ich eine Lichterkette sehe, die sich kilometerlang den im Zickzack verlaufenden Pfad hinunter erstreckt, wie ein Armee von Fußsoldaten, die in ihr Verderben marschieren. Bewusst, was uns da Schlimmes bevorsteht, marschieren wir in gruseliger Sille, ohne ein Wort zu sprechen, und die einzigen Geräusche, die in der Finsternis zu hören sind, sind das Knarren unserer Schuhe und das metallische Klicken unserer Gehstöcke.”
Meine Meinung über dieses Buch
Der Aufstieg der Ultraläufer ist zunächst einmal ein echtes Fachbuch über den Ultra. Finn nimmt den Leser mit auf eine Exkursion in die Geschichte und berichtet von Sechstage- und 24-Stunden-Rennen bis hin zu Langstrecken über ganze 1.600 Kilometer, die bereits im 19. Jahrhundert populär waren, alles was es zu wissen gibt. Er beschreibt den Ultra in all seinen Facetten, allen voran den sogenannten Ultra-Trail in typischer Gebirgslandschaft, also der Selfie-taugliche Ultra mit starker Anziehungskraft. Es gibt aber auch aller Art anderer, verrückter Läufe, die sich Ultra nennen. Da ist die Rede von laufbaren und technischen Strecken. Von mehrtägigen, Navigations- und Überlebenstechniken erfordernden Rennen – wie ein Ultra im Amazonasbecken, bei dem die Hauptrennzeit mit den Jaguar-Jagdzeiten abgestimmt werden muss – über Fastest Known Times – hier werden Strecken wie der 3.500 Kilometer lange Appalachian Trail im Alleingang auf Zeit gelaufen – bis hin zu völlig wahnsinnigen Läufen wie dem Badwater Ultra im Death Valley, wo sich die Teilnehmer in Eiswürfel-Särge legen, um sich abzukühlen. Oder noch verrückter: Der Self Transcendence Ultra, bei dem eine Handvoll Teilnehmer 3.100 Meilen lang Runden um einen Häuserblock in New York drehen.
„Das Ego sielt eine große Rolle, denke ich. Das Gefühl des Siegens, die Komplimente, die Aufmerksamkeit, es macht süchtig. Und du willst immer mehr, denn irgendwann ist es vorbei!“ (Buchauszug, Zitat von Zach Miller auf die Frage, warum er Ultras läuft)
Finns Werk möchte jedoch mehr sein als ein Fachbuch über den Ultra, und das gelingt auch. So unternimmt er immer wieder Streifzüge fernab der Haupt-Storyline, um dann wieder dorthin zurückzukehren. Beispielsweise widmet er sich der Herausforderung, Kenianer für den Ultra zu begeistern, die interessanterweise in diesem Metier gar nicht vertreten sind. Er scheut keine Mühe, organisiert, investiert Zeit und Geld, das ist schon sehr beindruckend. Weiterhin geht es um Ernährungsfragen, zu denen unter anderem die Lauflegende Scott Jurek, ein veganer Ultraläufer, zu Wort kommt. Überaus spannend ist auch seine Suche nach dem richtigen Laufstil. Wie viele andere ist auch Finn beeinflusst von Christopher McDogalls Born to Run und dazu geneigt, mit minimalistischen Schuhen dem Barfußlaufen möglichst nahe zu kommen. Von Achillessehnenverletzungen geplagt, befreit ihn diese Technik allein jedoch nicht von seinen Schmerzen. Vielmehr führt ihn sein Weg über Methoden wie der Anatomie der Bewegung oder Feldenkrais in Kombination mit dem Barfußlaufstil hinaus aus der Misere. Das fand ich sehr interessant, weil es sehr gut zeigt, dass man McDougalls Fingerzeig gegen die Schuhindustrie durchaus zwar anerkennen sollte bzw. muss, das Barfußlaufen per se aber kein Allheilmittel ist, sondern die Lösung immer individuell zu suchen ist.
Das folgende Video zeigt Zach Miller in Aktion… diese Intensität, die Atmosphäre, die Landschaft – einfach unglaublich, Wahnsinn!
“Ich glaube, mich reizt die Vorstellung, dass man sich wie ein Held fühlen kann.” (Buchauszug, Zitat von Damian Hall)
Weiterhin werden die Schattenseiten des Ultras beleuchtet, nicht nur die schönen. Da ist die verbreitete, gesundheitsschädigende Einnahme von Ibuprofen zum Beispiel. Die Beschäftigung mit der Frage, ob das Abspulen solch langer Strecken schlecht für das Herz ist oder nicht. Es geht um Lug und Betrug, um das wachsende Problem Doping, das sich synchron mit der Popularität des Sports ausbreitet. Und es geht auch um die Frage, ob man es den Athleten wirklich abkaufen kann, dass sie diese Strapazen wirklich lieben und gerne durchmachen. Oder ob es unterm Strich doch nur um das Ego geht, um diesen Instagram-Lifestyle und letztlich das Geld, welches auf der Bildfläche in Form von Sponsorenverträgen auftaucht. Während Zach Miller und Damian Hall hier ehrlich antworten, wird von deren Kollegen viel drum herum geredet, quasi Understatement betrieben. Diese werden vom Blitz getroffen, stürzen von Bergkämmen ab und brechen sich alle Knochen, vollbringen die absurdesten Höchstleistungen und machen dann so, also wäre alles ganz easy. Aus meiner Sicht ist das wenig glaubhaft, aus dem einfachen Grund, weil man – ähnlich sieht es Jim Walmsley – schon extrem ehrgeizig sein muss, um sich dauerhaft gegen ähnlich Verrückte durchzusetzen. Ist der Ultraläufer also in Wahrheit vielmehr ein extrem ehrgeiziger Trainingswahnsinniger als ein Drauflos-Läufer, als den er sich auf Instagram verkauft? Diese Frage muss man stellen dürfen. Warum, ganz ehrlich, läuft man einen Ultra? Das ist die Frage, mit der sich Finn ursprünglich aufgemacht hat, und welche er im Verlauf des Buches immer wieder zu ergründen versucht und den Leser damit konfrontiert. Ja durchaus, Finn hat recht, wenn er sagt:
“Wir existieren in einer konstruierten Welt, in der alles darauf ausgerichtet ist, dass wir es bequem haben und nicht den Härten des Lebens augesetzt sind. Doch wir wurden dafür geschaffen, in einer Welt zu leben, die oft hart , mühsam und gefährlich ist.“
Und damit ist man eingeladen, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Verdammt ja, Herr Finn, das stimmt, zweifelsohne! Und auch Kilian Jornet hat recht, wenn er sagt: “Leben ist nicht, sicher auf dem Sofa zu sitzen.” Doch was bedeutet das? Dass wir alle zu kleinen Reinhold Messners werden sollen, oder können? Mich beeindruckt Finns Reise sehr. Was heißt sehr, wirklich außerordentlich! Ich bewundere seinen Mut und seine Konfrontation mit den Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit. Ich habe das Buch nicht weglegen können, weil es ein einziges, großes Abenteuer ist. Ich würde wirklich soweit gehen, es als Standardwerk für den Ultra zu sehen. Doch zu einem hat es mich nicht gebracht – mich zur Teilnahme eines Ultras zu bewegen. Von all den Helden des Buches hat mich tatsächlich die unscheinbarste Person am meisten beeindruckt. Es ist Finns Bruder, der einen Ultraversuch abbricht. Nicht zähneknirschend, sondern lächelnd mit den Worten: “Ich weiß, wer ich bin!”
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