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Guangxi – Chinas verzauberte Provinz

Karstberge, Reisfelder und Frauen mit unfassbar langen Haaren. Eine Reise in Chinas ländlichen Süden. (This article in English).

Spricht hierzulande jemand von China, werden beim Zuhörer schon fast automatisch negative Emotionen erzeugt. Man denkt an schwarze Flüsse, an Smog, der die Sonne auf immer und ewig verdeckt – an Menschen in riesigen, maschinenartigen Städten, die ihre Bahnen ziehen in grauen, tristen Straßen. Doch an ein Paradies auf Erden, an ein Wunder der Natur, an natürlicher Schönheit so atemberaubend, dass man es fast nicht glaubt, selbst wenn man es mit eigenen Augen sieht – an das denkt der Zuhörer nicht. Nun, dem ist aber so. Ein kleiner Reisebericht über Guangxi, ein Ort, bei dem ich, wann immer ich an ihn denke, mir noch immer nicht sicher bin, ob er wirklich existiert.

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20 Yuan

20 Yuan
Die Rückseite der chinesischen 20 Yuan Note zeigt eine großartige Landschaft aus der Sicht eines Floßes. Der Fluss, auf dem es fährt, schlängelt sich zwischen schmalen, steil aus der Erde ragenden Hügeln hindurch, die sich märchenhaft im Wasser spiegeln und so noch größer erscheinen. Im Hintergrund, wo die Sonne auf das Wasser trifft, lässt sich ein weiteres Floß dahintreiben. Abgesehen davon, dass die 20 Yuan Note der schönste Geldschein ist, den ich je gesehen habe, lies mich dieses Motiv nicht mehr los. Ich habe mich immer gefreut, beim Bezahlen einen dieser Geldscheine zu erhalten, um ihn dann einen Moment lang zu betrachten. Das Motiv, so fand ich bald heraus, zeigt einen Abschnitt des Flusses Li in der Provinz Guangxi weit im Süden Chinas.

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Guilin

Tut, tut…
Das laute langgezogene Hupen unterbricht das unablässige rhythmische Intervall der Schienen, auf denen der Zug die schwarze Nacht durchschneidet. Nach Süden, immer nach Süden. Das obere Bett im Softsleeperabteil, das ich mir mit drei Mitreisenden teile, schaukelt sachte hin und her, als ich, durch das Hupen geweckt, den Vorhang zur Seite ziehe und nach draußen in eine mir fremde Umgebung blicke, um dann sachte zurück in einen leichten Schlaf zu fallen. Selten bin ich so glücklich wie in Momenten wie diesen, in denen ich mich einfach treiben lasse, irgendwo hin, ganz weit weg.

Die Fahrt von Shanghai nach Guilin dauert etwa 20 Stunden, weshalb die meisten Reisenden diese Strecke fliegen. Doch ich wähle diese Art der Reise ganz bewusst. Man kann förmlich sehen, erfahren wie sich die Landschaft peu au peu ändert, immer natürlicher wird, sich das Grün immer satter zeigt. Man bekommt ein Gefühl für die Weite, erfährt die Veränderung des Klimas und sieht, wie sich Städte, Häuser und Menschen anders zeigen als noch fünfhundert Kilometer zuvor. Ich fühle mich wie Jack Kerouac in On The Road, wie ein Mann der Schiene, der der Überzeugung ist, dass sich die wahren Momente des Lebens nur dann ereignen, wenn man nichts erwartet, wenn man sich einfach fallen lässt und offen ist für alles, was da sein mag. Mein Handy, für den Notfall dabei, bleibt mit aus diesem Grund aus. Als ich Guilin in der Mittagssonne erreiche, bin ich ein anderer Mensch. Die Hektik Shanghais, der Lärm und der Stress liegen hinter mir, alles läuft nun in einer anderen Frequenz.

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Dàzhài (Bild: MaSan)

Die Drachenknochen-Reisterrassen von Longji
Mein Weg führt mich direkt wieder aus der Stadt hinaus zu meinem ersten Ziel, den Drachenknochen-Reisterrassen von Longji, etwa 100 Kilometer weiter nördlich. Zwei Stunden später nach einer Fahrt mit dem Bus entlang von Feldern und ersten Reisterrassen werde ich vor Dàzhài abgesetzt, eines von mehreren kleinen Dörfern in dieser Gegend. Ich werfe mir meinen Rucksack über die Schultern und laufe los. Die Geräuschkulisse der mit mir ankommenden chinesischen Touristen verblasst bald in der Weite der Landschaft. Mit jedem Schritt wird es ruhiger, und schließlich hört man nur noch den Wind, der über das satte Gras streicht, und die zirpenden Zikaden in den Bäumen – kein Motorengeräusch, keine Handys, nichts. Der winzige Ort, bestehend aus einfachen Holzhütten, ist malerisch.

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Dàzhài (Bild: MaSan)

Ein plätschernder Bach, ein sich sachte drehendes quietschendes Windrad, gackernde Hühner, grunzende Schweine, ein frei herumlaufendes Pferd, das genüsslich im satten Gras herumkaut, das hier ist Landleben pur. So pur, dass man fast den Verdacht hat, dass einen die Chinesen mal wieder gehörig an der Nase herumführen. Als wäre das alles eine Kulisse und die Feldarbeiter, die da, als gebe es keine Zeit, ihren Tätigkeiten nachgehen, nichts anderes als bezahlte Schauspieler, die dem Touristen vermitteln sollen, dass es das ländliche China noch gibt, ha ha. Aber nein, das hier ist echt. Das Tal, in dem Dàzhài liegt, ist von unzähligen Reisterrassen umgeben, die von hier aus bis zu tausend Meter in die Höhe ragen. Es ist ein imposanter Anblick.

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Lebensgrundlage über 700 Jahre (Bild: MaSan)

Das Rückrad des Drachen
Die Terrassen haben ihren Ursprung in der Yuan Dynastie im dreizehnten Jahrhundert und waren für 700 Jahre Lebensgrundlage der ansässigen Bevölkerung. Form, Nutzen und Ästhetik bilden ein in sich geschlossenes Ökosystem und sind zugleich ein Paradebeispiel chinesischer Landschaftsarchitektur. Die Wälder auf den zahlreichen Gipfeln dienen als Wasserspeicher, von denen das Wasser mühelos von Terrasse zu Terrasse hinunter ins Tal springt und auf dem Weg die Reissetzlinge bewässert.

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Die Zhuang (Bild: MaSan)

Im Frühjahr werden diese gepflanzt, im Herbst geerntet. Noch heute, als wären die Jahrhunderte nicht vergangen, werden die Felder mit Hilfe von Wasserbüffeln und Pferden gepflügt. Jetzt, im Mai, zeigt sich die Umgebung von der schönsten Seite. Die Sicht ist klar, die Terrassen mit Wasser gefüllt und es regnet selten. Die höchste Erhebung erinnert an das Rückgrat eines Drachen, daher die Namensgebung. Bis heute sind Dorf-und Landleben vom Tourismus noch weitestgehend unangetastet. Wie in der ganzen landwirtschaftlich geprägten und deshalb sehr armen Provinz ist auch diese Gegend von Minderheiten geprägt, in diesem Fall von den Stämmen der Zhuang und der Yao. Die Frauen der Zhuang mit ihren bunten Kleidern schneiden ihre Harre nie, lassen diese bis 1,6 Meter lang wachsen und tragen sie wie Turbane auf dem Kopf.

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Neuigkeiten (Bild: MaSan)
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Blick hinunter ins Tal (Bild: MaSan)

Tiántóuzhái
Durch Dàzhài hindurch schleppe ich meinen Rucksack steil den Berg hinauf in ein über dem Tal thronendes, winziges Dörfchen. Auf dem Weg kommen mir Farmer mit Lastpferden und Ochsen entgegen, und die schmalen Pfade sind so eng, dass ich auf die Böschung ausweichen muss. Sie schenken mir ein kurzes Lächeln. Auf diesem Wege erreiche ich Tiántóuzhái, wo ich für ein paar Renmimbi ins JinTian Guest House einchecke und Hanna, die englischsprachige Besitzerin, empfängt mich herzlich. Von hier aus hat man einen imposanten Ausblick hinunter in die Täler und die unzähligen, mit Wasser gefüllten Reisterrassen. Es ist atemberaubend schön. Vor dieser Kulisse genieße ich das Abendessen, das mir Hannah bringt. Frischer Kürbis aus den Feldern, Bohnen, Eier und das beste Gong Boa Huhn – mein Lieblingsessen – das ich je gegessen habe. Einen Supermarkt gibt es hier nicht, wofür auch. Die folgenden Tage widme ich ganz dem Wandern zu den verschiedenen Gipfeln. Umher laufende Hühner kreuzen hier und da meinen Weg, Hunde faulenzen in der Sonne und Pferde wiehern in den Feldern. Auf dem Rückgrat des Drachen warte ich den Sonnenuntergang ab, bevor ich mich auf den Heimweg mache und mich erschöpft ins Bett fallen lasse. Einen letzten Blick erhasche ich noch aus dem Fenster. Der Nebel nimmt bereits die Täler ein und eine Armee von Fröschen stimmt sich ein zum Konzert.

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Auf dem Rückgrat des Drachen (Bild: MaSan)

Ping’an
Am nächsten Morgen breche ich in aller Frühe zur fünfstündigen Wanderung von Tiántóuzhái nach Ping’an auf, dem größten Ort der Gegend. Der Weg führt einem die Hügel hoch und herunter, quer durch die Terrassen und in winzig kleine Dörfer.

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Die Feldarbeit ist hart (Bild: MaSan)

Man passiert die Gräber der Feldarbeiter, sieht Bauern bei der Feldarbeit und kann sich in traumhafter Stille zu einer Pause ins Gras setzen und an all den Farben satt sehen. Einmal kommt mir eine uralte Frau entgegen, ein riesiges Bündel Holz über den Schultern tragend. Sie lächelt mir zu, und ich lächle zurück. Auch ohne chinesische Sprachkenntnisse weißen die Menschen beim Ausruf „Ping’an“ mit einem Fingerzeig den Weg in die richtige Richtung. Gegen Mittag erreiche ich Ping’an schließlich. Der größte Ort der Umgebung ist wesentlich touristischer als die anderen Dörfer, nichts desto trotz wunderschön. Am Abend mache ich mich mit dem Bus auf den Rückweg nach Tiántóuzhái, wo ich meine letzte Nacht verbringe.

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Ein Reisbauer bei der Arbeit

On The Road
Man soll gehen, wann es am schönsten ist. Nichtsdestotrotz bin ich etwas traurig, aufzubrechen, aber so ist das eben ‘On The Road’. Und schließlich habe ich ein Ziel, den 20 Yuan-Schein. Nach kurzem Zwischenstopp in Guilin fahre ich mit dem Bus direkt weiter nach Yangshuo. Aus den verstaubten Fenstern des Minibusses schaue ich hinaus in die wundersame Landschaft und sehe tausende, abertausende Karstberge, die schmal und wild aus dem Boden dem Himmel entgegenzuwachsen scheinen. Ich weiß nicht mehr, an was ich auf dieser Fahrt denke. Vielleicht einfach an nichts, vielleicht lasse ich das Gesehene einfach durch mich hindurch fließen. Vielleicht aber denke ich an Jack Kerouack und an die vielleicht schönsten Worte, die jemals jemand zu Papier gebracht hat, jedenfalls für mich: „I was having a wonderful time and the whole world opened up before me because I had no dreams.“

Fortsetzung folgt…

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Yangshuo – mein nächstes Reiseziel

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