Trauer um Liu Xiaobo
Der regierungskritische Intellektuelle Liu Xiaobo starb im Alter von 61 Jahren an Krebs, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, eingepfercht hinter Gittern. Sein Verbrechen – Kritik an der Regierung. Sein Tod stimmt wütend und schockierend zugleich. Man verwehrte ihm alles, den Friedensnobelpreis im Jahr 2010 in Oslo und letztlich auch ein Sterben in Freiheit. Ein Nachruf.
Im April 1989 starb Hu Yaobang, großer Reformer mit hoher Beliebtheit. Studenten versammelten sich zu seiner Trauerfeier auf dem berühmten Tiananmen, dem Platz des Himmlischen Friedens. Mit Frieden hat dieser Platz jedoch denkbar wenig zu tun. Die besagte Trauerfeier wurde zur Demonstration für mehr Demokratie. Unter den Demonstranten war Liu Xiaobo, der kurzentschlossen von New York aus anreiste, wo er sich neben seiner Tätigkeit als Gastdozent an der Columbia University unter die Dissidenten-Szene mischte, zusammen mit Ai Weiwei und seinesgleichen. Auf dem Tiananmen verteilte er nun Flugblätter, in denen er messerscharf, das war seit jeher sein Charakter, mit der Regierung abrechnete. Eine Scheinregierung sei das! Er forderte unter anderem das Recht Privatisierung und zur Gewerkschaftsgründung. Dann trat er in Hungerstreik, vor internationalem Medienaufgebot. Das kam an, denn Liu Xiabo war längst über die Landesgrenzen hinweg bekannt.
„ Es merkt niemand, wenn du nur ein Fenster aufmachst. Du musst schon das ganze Haus abreißen, bevor dich irgendjemand wahrnimmt.“
Als einer von fünf Söhnen eines Professors für Chinesische Sprache studierte er in Changchun, seiner Heimatstadt, chinesische Philologie und gründete einen Poesieclub. In jener Zeit traten seine ersten Veröffentlichungen zu Tage. Schon jetzt nahm er kein Wort vor den Mund, in dem er im Jahr 1986 im Rahmen einer Konferenz mit der chinesischen Literatur abrechnete, für die er kein gutes Wort übrig hatte. Seine Äußerungen verbreiteten sich über die Medien und Liu Xiaobo war von einem Moment auf den nächsten bekannt. 1988, er studierte mittlerweile in Peking, war er eine berühmte Person, bekannt für seine scharfe Zunge, die nicht nur Bewunderung, sonder auch jedem Menge Argwohn mit sich brachte. Das allerdings störte den energischen Intelektuellen nicht. Nach der Promotion ging er nach Oslo und später nach New York, von wo ihn nun wiederum sein Gewissen in seine Heimat rief.
„Alle müssen sich entschließen, ob sie sich unterwerfen oder rebellieren“
Die Armee versuchte dort vergeblich, die campierenden Studenten zu vertreiben, denn diese weigerten sich vehement. Am dritten Juni rollten dann die Panzer an, und kurz darauf wurde geschossen. Fast dreitausend meist junge Intellektuelle verloren dabei ihr Leben, Blut bedeckte jenen Platz des Friedens, auf dem heute zahlreiche Touristen ihre Selfies vor dem Mao Mausoleum schießen. Liu Xiabo wurde festgenommen und saß über ein Jahr lang in Haft. Was Haft in China bedeutet, insbesondere für jemanden, der der Autorität ein Dorn im Auge ist, vermag sich unsereiner nicht einmal im Traum vorzustellen. Entgegen anderer inhaftierter Häftlinge, die fortan ihre Zunge für immer hüteten, dachte Xiaobo nicht im Geringsten daran klein bei zu geben. Er schrieb kurzerhand ein Buch über das Massaker, das international für Aufmerksam sorge, innerhalb chinesischer Regierungskreise jedoch die notwendige Portion Hass, die ihm zum Verhängnis werden würde. Auf ein Auftritt-Verbot folgte ein Besuch der Staatssicherheit und seine zweite Inhaftierung für vier lange Jahre. Für drei Jahre erlaubte man nicht einmal seiner Frau Liu Xia den Besuch. 1999 kam er wieder frei, und wer glaubt, ein Liu Xiabo würde fortan schweigen, sah sich erneut getäuscht.
„Tyrannei ist nicht erschreckend, was wirklich beängstigend ist, sind Unterwerfung, Stille und sogar Lob für Tyrannei!”
Im Jahr 2008 beteiligte er sich an der sogenannte Charta 08, die sich erneut der chinesischen Demokratiebewegung verschrieb. Diese Charta wurde von hunderten regierungskritischen Chinesen unterschrieben, u.a. auch von Ai Weiwei. Mit diesem Schritt erlosch auch jegliche Geduld mit dem Staatfeind, der das Licht der Freiheit nie mehr sehen würde. Märtyrer jedoch sind der größte Feind der Tyrannei. Das war schon immer so. Wobei es mir ehrlich gesagt missfällt bzw. schwerfällt, beim Thema China von einem System der Tyrannei zu sprechen. Und zwar deswegen, weil in diesem Land der Grat zwischen freiheitlichem Leben und sozialistischem Kontrollwahn sehr schmal, ist, weil beide Systeme scheinbar unbehelligt nebeneinander her leben. Im Falle des Umgangs mit einem solch ehrwürdigen Mann, Intelektuellen und Weltbürger fällt es allerdings auch mir nicht mehr schwer, von Tyrannei zu sprechen, weil die Ungerechtigkeit und Willkür gleichermaßen so erschreckend deutlich mit der Peitsche vorgeführt werden, dass man im wahrsten Sinne des Wortes kotzen könnte. Es passt eben nicht zu dem China, das ich lieben gelernt habe in all seinen Facetten. Und es passt auch nicht zu einem China, das mehr Verantwortung übernehmen will in dieser Welt, offen sein möchte für Handel und Austausch auf allen Ebenen mit der Welt.
Geradezu ohnmächtig stimmt der Umgang mit Liu Xiaobo nach seiner Inhaftierung. Im Jahr 2010 blieb sein Stuhl im Rathaus von Oslo leer. Nichts weniger wollte man ihm überreichen als den Friedensnobelpreis. Zu diesem Zeitpunkt lebte Xiaobo inhaftiert, abgeschirmt von der Welt, und todkrank. Leberkrebs, im letzten Stadium lautete die Diagnose. Eine Behandlung im Ausland verwehrte man ihm, und nur bruchstückhaft informierte man die schockierte Öffentlichkeit von seinem Gesundheitszustand. In China selbst verschwieg man sein Sterben gleich ganz, wie es üblich ist. Nun ist Liu Xiaobo im Alter von 61 Jahren gestorben, hinter verschlossenen Türen, einsam und begleitet von Männern in Uniform. Das schockiert und macht wütend, macht stutzig. Wer, China, willst du sein? Wie möchtest du uns ein Partner sein in dieser Welt? Fragen wie diese gehen mir durch den Kopf und ich frage mich dann, ob ich das Reich der Mitte, wie es sich so stolz nennt, denn tatsächlich kenne.
Als Deutscher bis ich seit jeher konfrontiert mit einer bedauernswerten Geschichte, mit nichts weniger als dem Massenmord an Millionen von Menschen. Diese Geschichte verfolgt mich. Ich fühle mich dafür verantwortlich, obwohl ich in einer ganz anderen Zeit lebe. Schuld verjährt nicht. Über Tod wächst kein Gras. Was ich an unserem Land schätze, neben vielen Dingen, die ich nicht schätze, ist der Umgang mit der eigenen, traurigen Geschichte. Sie befreit, wenn man so will, und ebnet den Blick in eine Zukunft, die anders sein will. Heute leben wir in Frieden in Europa, und dieser Frieden gründet sich im Wesentlichen auf diese schmerzliche kriegerische Vergangenheit. Doch, ohne Verarbeitung der geschichtlichen Fakten und Konfrontation mit dem Schmerz, kann es keinen Frieden geben. Täter und Opfer können keine Nachbarn sein, wenn diese Fragen nicht geklärt, die Schuld gesühnt ist. Zur Vergebung bedarf es der Anerkennung der Schuld und die Bitte um Vergebung. Da mag ein Erdogan noch so sehr den Völkermord an dem Armeniern leugnen, und die Chinesen eben den Mord an Studenten. Die Welt weiß, was dort passiert ist, und als Deutscher weiß ich, dass ein Konfrontation mit der eigenen Schuld befreit und den zuversichtlichen Blick in die Zukunft erlaubt. Wenn ich eines weiß, das sage ich als Deutscher, dann ist es das. Ruhe in Frieden, Liu Xiaobo.
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