Hong Kong – unterwegs in einer Megacity
So mancher Reisender zeigt sich von Hongkong sichtlich geschockt. Laut, schnell, hektisch, dicht, geruchsintensiv, heiß und vor allem mega-urban im Vergleich zu den geradezu provinziell anmutenden europäischen Hauptstädten. Das geht vor allem jenen so, die zum ersten Mal chinesischen Boden betreten und diese Stadt das erste ist, was sie von dem Land zu sehen bekommen. Für viele in China lebende Ausländer ist diese Stadt aber die ultimative China-Destination, eine Flucht aus dem Chaos und dem Smog Pekings, dem Trubel Shanghais oder Chongchings. Für alle jene ist Hongkong ein einziger Traum, ein Schritt in Richtung Westen, nach dem man sich, sofern man hier lebt, auch hin und wieder sehnt. Denn die Stadt ist beides, Europa und Asien. Wie man sieht, kommt es also auf die Betrachtungsweise an und darauf, ob man schon einmal in China war oder nicht.
Britisches Erbe
Im Jahr 1941, während des ersten Opiumkrieges, besetzten die Briten die Stadt und hissten ihre Flagge. Hongkong war nun eine weitere Kolonie auf ihrem Konto. Als nun im Landesinneren die große Kulturrevolution Mao Zedongs wütete und Andersdenkende millionenfach heimsuchte, um diese vom Erdboden zu tilgen, leuchtete Hongkong für die Flüchtigen und Hilfesuchenden auf wie ein funkelnder Leuchtturm. Diese Stadt war ihre Zuflucht. Ebenjene Menschen schauten finster drein, als die Briten ihre Flagge im Jahr 1997 wieder herunter zogen und chinesische Panzer durch die Straßen fuhren. Nicht wenige nahmen sich das Leben, in Panik, Angst um ihr Leben und im Wissen, dass die Parteikader nicht verzeihen. Danach war Hongkong stets Sonderverwaltungszone mit freier Marktwirtschaft. Das Wort frei ist hier das Stichwort, denn bisher handelten die Regierenden der Stadt stets unabhängig von den Entscheidern Pekings. Das ändert sich nun jedoch Stück für Stück, denn die chinesische Hauptstadt greift sich die Macht über die verlorene Stadt wieder, in dem sie nach und nach, quasi in typisch chinesischer Manier, wichtige politische Positionen mit Inländern besetzt. Und dennoch, die Stadt wird, egal was auch kommen mag, immer etwas Besonderes bleiben und nie vergleichbar sein mit anderen chinesischen Städten. Das sieht man schon allein daran, wie die Straßen nach 18 Uhr abends aussehen. Dann nämlich bevölkern Engländer die Straßen vor den unzähligen Pubs Hongkong Islands und erzählen sich vorn ihrer Arbeit in tadellosem Londoner Akzent.
Megacoole Lage
Als jemand, der in Tianjin und Shanghai gelebt hat, ist Hongkong für mich so etwas wie ein Feriendomizil. Ich liebe diese City einfach, und komme nie drum herum, sie mit Barcelona zu vergleichen. Jene Stadt, in der ich 2006 lebte und für mich zu den absolut coolsten Städten Europas gehört. Warum? Wenn du mitten in Barcelona stehst und dich zur einen Seite umdrehst, siehst du die Berge. Drehst du dich zu anderen Seite, erstreckt sich Meer dahin wie ein einziger, blauer Horizont. Und dazwischen diese hochurbane, superdichte Metropole. Was ich in Barcelona immer mochte – nach Feierabend war man in Windelseile am Meer und hätte fast vergessen können, dass man eigentlich in einer Millionenstadt lebt.Genauso ist das auch in Hongkong. Beide Städte sind geografisch zwischen Meer und Bergen eingekesselt und quasi dazu gezwungen, sich im Inneren zu verdichten. Aus diesem Grund entschloss sich Hongkong, in die Vertikale zu wachsen und bildet ein Wolkenkratzermeer, das jenes von New York um ein Vielfaches in den Schatten stellt. Wow! Während Städte wie Peking oder Shanghai sich endlos dahinwickeln und man eine Ewigkeit braucht, bis bei einer Zugfahrt die Stadtsilhouette endlich von Natur abgelöst wird, hat Hongkong klare Grenzen, die man schnell erreicht. Egal, wo man ist. Nach dem Feierabend noch mal eben in den Dschungel, oder vielleicht doch lieber mit der Freundin auf einen Sundowner auf eine tropische Insel? No problemo!
Kowloon
Hongkong, das ist zunächst einmal die Halbinsel Kowloon. Hier flimmern des Nachts Millionen Neon-Reklamelichter auf, die man aus Filmen kennt. Hier ist das wilde Straßenleben zu Hause, kann man eintauchen in eine der schärfsten Küchen der Welt, die kantonesische nämlich. Weißt du, was man in China über die Kontonesen sagt? „Die Kantonesen essen alles was vier Beine hat und kein Stuhl ist, alles was schwimmt und kein U-Boot ist, und alles was fliegt und kein Flugzeug ist. Mehr brauche ich glaube ich nicht hinzuzufügen. In den Straßen hier findet man alles, wirklich alles. In manchen Straßen wimmelt es regelrecht von Apotheken für traditionelle chinesische Medizin. Wie war das nochmal mit Tierschutz. Haifischflossen, Seepferdchen, Elfenbein, you can have it all. In Kowloon säumen tropische Bäume die Straßen und deren gigantische Wurzeln überwuchern Mauern und Häuser. Auf den Ästen singen ganze Schwärme tropischer Vögel ihre Lieder. Es ist fast nicht zu glauben, aber hier findet man ein Stück dessen, was man sonst eher in Südostasien vermutet. Alles mutet exotisch an, das Klima ist subtropisch, und all das umgibt die Stadt mit einem Hauch laid back Atmosphäre, die man in nur wenigen chinesischen Städten in Südwestchina findet.
HongKong Island
Vergiss New York. Forget it all. Wenn du sehen willst, wo der Hammer hängt in Sachen Urbanität, dann muten europäische und auch amerikanische Großstädte, inklusive New York, an wie mittelgroße Großstädte mit mittelmäßigen Ambitionen aus einem längst vergangenen Jahrhundert, Hongkong kennt nur eine Richtung, nämlich die Vertikale, und nirgendwo auf der ganzen Welt gibt es eine annähernd ähnliche Dichte an Wolkenkratzern wie hier. Davon überzeugen kann man sich am besten auf dem Victoria Peak, von wo aus man am Abend den besten Blick auf die Stadt hat. Die Aussicht hier oben gehört definitiv zu den „Things I want to see before I die“, und das sage ich jetzt wirklich nicht nur so. Außerdem bin ich nicht so leicht zu beeindrucken, nicht einmal von Vogelspinnen am Spieß. Victoria Peak ist der höchste Berg Hongkongs, und Höhe war hier seit jeher Statussymbol. Unter der britischen Herrschaft galt derjenige, der höher auf dem Peak wohnte, als reicher als der darunter liegende. Oh Mann, die Briten! Was ich bisher noch nirgendwo gesehen habe, waren diese Fußgängerwege über der Straße, also quasi in Etage zwei. In Hongkong ist das gang und gäbe. Überall schlängeln sich weit über der Straße, überdacht, um vor der brennenden Sonne zu schützen, diese Röhren entlang, um die Fußgänger vom Autoverkehr zu trennen. Ich liebe diese Stadt. Hongkong Island ist nicht nur schön anzusehen, die Insel ist auch das ökonomische und politische Zentrum. Gesprochen wird hier englisch, und zwar perfekt. Und es ist auch nicht so wie in vielen anderen chinesischen Städten, dass man sich nach westlichen Touristen umsieht. No way, I have seen it all, denkt sich der Hongkonger. Ein Besuch von Hongkong Island ist der beste Weg, um zu verstehen, dass diese Stadt nicht China ist und niemals sein wird.
Picknick unter Wolkenkratzern
Wer am Wochenende auf Hongkong Island unterwegs ist, wird eines regelmäßigen sich an Sonntagen zutragenden Ereignisses Zeugnis. Unter der Gebäude der vom Stararchitekten Norman Foster gebauten Hongkong & Shanghai Bank, das quasi wie auf Stelzen steht, versammeln sich im Schatten hunderte Familien zum Picknick. Chinesen oder Kontonesen sind das nicht, wie man schnell merkt. Nein, es sind Philippinos und Pakinstani, die hier als Hausangestellte arbeiten. Jepp, die Verhältnisse klaffen hier weit auseinander. Während der Kulturrevolution stiegt die Bevölkerung rapide an. Viele der Flüchtigen waren völlig mittellos. Slums gründeten sich, darunter die legendäre Kowloon City. Ein hochdichtes urbanes Ding, das ungefähr so aussah, als hätte man 200 Wolkenkratzer direkt nebeneinander gebaut, also ohne Lücke. In den Sechzigern erfuhr die Stadt einen weiteren Bevölkerungsboom und der ohnehin knappe Wohnraum wurde noch knapper. 20 m² Wohnungen waren hier die Regel, und selbst das war im Gegensatz zu anderen Wohnung noch der reinste Luxus. Auf die Spitze getrieben wurde das durch die Cage People. Dabei wurde eine Einraumwohnung durch Käfige unterteilt, teilweise sogar mehrstöckig. Unglaublich, sagst du? Zehntausende Menschen leben heute noch so, kein Scherz! Wenn du also das nächste Mal rumjammerst, wie schlimm die Wohnungssituation in Berlin doch geworden ist, denke einfach an Hongkong.
Hunderte kleine Trauminseln
In Hongkong benutzt man die Fähre wie bei uns den Linienbus. Das Äquivalent zur Linie 100 in Berlin wäre in Hongkong die Starferry. Jede Fahrt ist ein Erlebnis. Mal sieht man ein Gruppe Schüler in ihren typischen Schuluniformen, England lässt grüßen, mal beobachtet man einfach die Leute, die hier leben und so tun, als wäre das alles ganz normal. Oder man stellt sich einfach an die Reling und beobachtet riesige Adler, die über den Wolkenkratzern kreisen. Im Ernst, Hongkong, was bist du eigentlich für eine Stadt?
An Fähren gibt es nicht nur die Star Ferry, sondern noch unzählige weitere Linien. Sie steuern ein paar Inseln an, die vor der Stadt liegen, bescheide über 200 Stück nämlich. Viele davon beherbergen Taumstrände und sind wahre Surfmekkas. Kein Wunder, dass einige von Hippies bevölkert werden. Nach Peng Chau, Cheung Chau oder Lamma Island zu fahren ist ein echtes Highlight. Mit etwas Glück sieht man auf dem Weg sogar Delphine. Ein Besuch wert ist auch Lantau Island, die einen riesigen Buddha beherbergt, der zu den größten der Welt gehört. Er thront ganz oben auf einem Berg, den man majestätisch über eine Treppe besichtigen kann. Wow!
Es wird windig
Idylle ist hier nicht immer. Das trockene, subtropische Klima von Januar bis März wird durch viel Regen im Sommer abgelöst. Wenn es richtig hart kommt, stehen im Hochsommer waschechte Taifune vor der Tür, da hört der Spaß dann auf. Im Jahr 1906 töte eine Flutwelle zig tausende Menschen. Wie auch immer. Wenn ich irgendwann mal endgültig die Schnauze voll habe und auswandere – und der Tag rückt näher – dann gehe ich davon aus, dass diese Stadt am südchinesischen Meer definitiv auf meiner Liste stehen wird, neben Barcelona.
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