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Winterlaufserie Rheinzabern – wenn sich Laufverrückte in der Kälte treffen
Am Ende laufe ich nach 1:18:14 über die 20K über die Linie, Pace – 3:56. Das ist in etwa das, was ich erwartet hatte und liegt wenigstens nah dran an meiner HM-Bestzeit von vor zwei Jahren. Die Pace damals – 3:52. Klingt irgendwie nach nicht viel, ist es aber. Wie auch immer, kaufen kann man sich mit dieser Zeit an diesem Ort hier gar nichts. Gerade mal Platz 78 im Gesamt-Ranking ist das und Platz 6 in der Altersklasse. Und das sagt schon was aus über diesen dritten Lauf dieser aus drei Läufen bestehenden Laufserie, die eine Art Klassentreffen ist, ein Meet & Greet, das Läufer*Innen bis weit über die Südpfalz hinaus anzieht. Einen Läufer der Apokalypse zum Beispiel, der die 20K heute unter einer Stunde lief – Streckenrekord − genauso wie über die beiden anderen Läufe der Laufserie auch. Den 10er lief dieser 30-jährige, der im Übrigen als bester Deutscher den Frankfurt Marathon “finishte”, in einer unfassbaren 29:25. Ich finde das sehr beeindruckend und das sagt auch sehr viel aus über den Südwesten, wo es eine beeindruckende, gelebte, aufstrebende Laufkultur gibt.
Mut zum luftleeren Raum
Nun denn, das zeigt ganz gut, wer sich hier so einfindet an einem Sonntagmorgen mitten im Winter – lauter Wahnsinnige nämlich. Und wenn man dann da steht mit null Bock im Startblock, dann beißt einen der Hund in die Wade just in dem Moment, wo die Knarre gen Himmel ballert und alle diese erste, magische Wettkampfluft schnuppern. Wer hier dabei ist, versteht sein Handwerk und wer hier zu schnell losgeht, wird einkassiert später, also aufpassen. Jedenfalls bin ich ab Sekunde 1 Wettkampfläufer und liebe es einfach. Viele Rennen laufe ich ja nicht, aber es ist jedes Mal etwas ganz, ganz besonderes. Spätestens ab 10K bilden sich kleine Grüppchen in der zweiten Reihe mit viel Luft dazwischen. Tricky ist immer der Moment, in dem man sich entscheidet, aus der Gruppe auszubrechen und in diesen luftleeren Raum vorzustoßen. Mal hängt man sich an einen dran, der das macht. Mal ist man der, an den sich andere ran hängen. Eine solche Entscheidung muss bedacht sein und ja, sie hat etwas mit läuferischem Mut zu tun.
Zügele dich
Gute 20K zu laufen bedeutet auch, sich zügeln zu können bis zu einem bestimmten Punkt. Wie ein Ferrari, der leise über die Landstraße gleitet in einer Coolnes, die suggeriert – der kann mehr, wenn er will. Und so spielt bei so einem Lauf auch Erfahrung mit rein, jede Menge. Von Gruppe zu Gruppe denke ich mir: Mann, die laufen aber schnell. Und merkte dann doch, wie das Tempo nach einiger Zeit ganz langsam zurückgeht. Bin ich in so einer Gruppe, dann schaue ich, was die anderen so machen, wie sie laufen, wie sie atmen. Das hilft mir, mein Potential abzuschätzen und die Entscheidung zu treffen, hier zu bleiben oder rauszugehen. Zeigt die Gruppe Schwäche, was mit zunehmender Distanz oft der Fall ist, dann ist es Zeit voranzugehen. Und zwar sukzessive und so lange, bis man in einer Gruppe ist, die maximal fordert am Limit, deren Dynamik hilft dranzubleiben und das allerletzte aus sich herauszuholen. Das ist der Spirit des Rennens. Kein Gegeneinander mehr, längst nicht mehr. Sondern ein gegenseitiges Mitnehmen, ein besonderes Band unter Läufer*Innen, das es so in keiner anderen Sportart gibt. In dem Moment, wo ich rausgehe nach vorne, sage ich nicht: ich bin besser als ihr und ihr könnt mich mal, nein! Ich sage: hey Folks, ich probier das jetzt mal, wünscht mir Glück. Und wenn dann einer mitgeht, dann macht mich das auch stolz, weil ich jemand anderen dazu inspiriert habe, genau jetzt etwas Cooles zu wagen. Wenn ich die leuchtenden Augen anderer sehe im Ziel, wenn sie etwas geschafft haben, von dem sie nicht gedacht haben, dass sie es schaffen, dann sehe ich mich in den Anfängen meines Läuferlebens wieder. Was, das geht? Habe ich das wirklich gerade gemacht? Und jeder, wirklich jeder freut sich mit dir, das ist einfach so unfassbar cool und hat so etwas pures, rein menschliches in sich, wie man es sonst vielleicht nur bei Kindern sieht.
No risk, no fun
Je weiter vor man geht, desto ambitionierter, desto stärker sind die Läufer*Innen. Und dann raus zu gehen ist dann schon ein Statement. Jedenfalls gelingt mir das sehr gut an diesem Tag. Ich kenne es sehr gut, wenn einen gen Ende die Kraft verlässt und man einkassiert wird. Das passiert zu 90 Prozent dann, wenn man am Anfang Körner lässt durch zu schnelles Anlaufen. Ein langsamer Start und ein konservatives Vorantasten bis mindestens 15K hat sich für mich absolut bewährt. Bei K18 bin ich in der Gruppe meiner maximalen Performance. Ich könnte das Ding jetzt mit denen zu Ende laufen. Bei ungefähr K18/19 zeigen die ersten hier jedoch Schwächen, und dann entschließe ich mich zum Risiko. 2K vor dem Ziel kann man immer noch viel kaputt machen, aber man spürt jetzt eher die feinen Nuancen und kann nicht mehr hemmungslos übertreiben, weil es jetzt schon richtig wehtut. Wenn du jetzt noch drauflegen kannst, dann mach es. Und das mache ich jetzt. Einer hängt sich dran und geht mit, kassiert mich sogar ein am Ende, gut gemacht. Die Gruppe aber, aus der ich los bin, jedoch nicht, also war das ein gutes Manöver. Mache ich das Ganze zu früh, geht die Sache vielleicht anders aus. Haust du zu viel raus, kann es mit der Pace am Schluss ins Bodenlose gehen, alles schon passiert. Aber das meine ich mit Erfahrung. Man spürt irgendwie mit der Zeit, was maximal geht. Ich laufe also das, was ich kann und weiß auch, was ich nicht kann. Wenn ich dir also etwas mitgeben kann, dann das: Zügele dich, mäßige dich. Deine Zeit kommt, versprochen. Und wenn es soweit ist, lass es krachen!
Ein gutes Zwischenergebnis war das heute, mit dem ich etwas anfangen kann für den kommenden Marathon und ach ja, den Ultra Trail du Grand Ballon, auf den ich mich ganz, ganz besonders freue.
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2 Kommentare
Oliver
Spitzenzeit, solide durchgerannt, meinen herzlichen Glückwunsch, richtig gut gemacht!
Diese “kleinen Volksläufe” sollte man niemals niemals niemals unterschätzen, da tauchen sie plötzlich immer auf, diese Top-Typen, die alles in Grund und Boden rennen. Da dann ein wenig mitzumischen hat schon seinen besonderen Reiz, erst recht wenn man sich gut einschätzen kann. Das kannst du 🙂
Liebe Grüße, Oliver
MaSan
Ich kenne diese Winterläufe bei Eiseskälte auch sehr gut aus meiner Zeit in Berlin. Man meldet sich an, bereut das dann an dem Morgen, an dem man dorthin muss und wundert sich dann, dass ein Haufen Leute auch da sind und alle ON FIRE! Aber wie sagt man so schön, die Champions werden im Winter gemacht. Oh Mann, der Winter, für mich eine einzige, lange Durststrecke. Bisher bin ich aber krankheitsfrei gut durchgekommen (-;