Laufen – gnadenlos ehrlich! Über die Tatsache, dass man das kriegt, was man gibt.
Bienwald Halbmarathon letztes Wochenende – 1:24:54. Bin ich glücklich damit? Nein! Wäre mehr drin gewesen? Auch nein! Nun denn, dann haben wir einen Widerspruch hier. Ich bin dorthin mit der Meinung, eine 1:21 hinlegen zu können aus dem Marathontraining heraus, in dem ich mich gerade befinde. Denn genau das gelang mir schon einmal auf einen HM in Berlin, wo ich meine Bestzeit auf diese Distanz lief. Nun ist es aber so, dass mein derzeitiges Training ein anderes ist als damals und ich einfach von den Lebensumständen her kein hohes Pensum laufen kann. Die wichtigen Einheiten mache ich, die schnellen Dinger, die Intervalle, die Longruns, aber mir fehlen die Junk-Miles, die die Umfänge hochtreiben gen 90K die Woche. Derzeit sind es gerade mal 50 bis 60K, das ist viel zu wenig. Peter Greif würde mir ganz sicher die Peitsche geben bei diesem lächerlichen Umfang.
Und als sich dann nach 5K bei einer Pace unter 4:00 Resistenzen in meinem Körper breit machten nach dem Motto: Junge, was soll das? Und ich still antworte, FUCK YOU, das kennst du doch. Na ja, da muss man dann halt runter vom Gas. Das ist dann kein Einklang mit Vorstellung und Realität. Ich fühle mich verlassen von meiner Kraft, bin enttäuscht von der Schwäche, die ich spüre. Letztlich pfeife ich auf die Zeit auf den HM. Worauf ich aber nicht pfeife, ist dessen Symbolkraft auf meinen aktuellen Fitnessstand und wiederum dessen Bedeutung auf die einzige Distanz, die mich wirklich, so wirklich interessiert, die 42,195 Kilometer. Mein Fitnessstand ist jetzt nicht schlecht, zeigt aber in der Tendenz in eine Richtung, nach unten. Unschön, ist aber so. Meine Uhr sagt mir das auch immer knallhart, z.B. in Form meiner VO2 Max. Die beträgt nicht mehr 57, sondern 54. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass Polar-Uhren deren Träger immer loben, Garmin Uhren dagegen einen immer dissen? Achtet mal drauf! Meine Uhr gibt mir stets nur Feuer. Du mieses Biest!
Wie dem auch sei, das sind Zahlen, Werte, und sie sind ehrlich, gnadenlos ehrlich. Ich gehöre nicht zu den Typen, die sagen: „Hey, wenn der Marathon die Unterführung nicht gehabt hätte, ja dann hätte ich, wäre ich!” Nein! Entweder du liefest oder nicht. Wie Reinhold Messner zu sagen pflegte oder pflegt: Auf die Tat kommt es an, einzig und allein die Tat. Und diese Zahl da oben ist die, die drin ist, wenn man so viel macht wie ich gerade, nicht mehr und nicht weniger. Klingt hart, aber das ist Laufen, seit jeher ein nüchterner Vertragspartner. Du kriegst, was du investierst, so einfach ist das. Und mit dem Resultat musst du dann umgehen können. Das ist manchmal schon hart. Wenn man sieht, wie andere abgehen, Bestzeiten zerfetzen, Debuts hinlegen, die ihresgleichen suchen, und das alles so leicht aussieht. So leicht, und man selbst klebt am Asphalt fest wie ein nasser Sack. Auch das gehört dazu, auch das tut schon mal weh. Aber was einen Laufen auch lehrt bzw. mich gelehrt hat ist, dass das okay ist, völlig okay. Wer besser ist, verdient es auch, besser zu sein.
Aber darum geht es nicht, ging es mir nie. Ich freue mich da gerne mit anderen mit und sage: Geil Junge, richtig geil! Man sollte da auch nicht zu streng mit sich sein. Man weiß ja auch nie so genau, was andere so machen, wie deren Lebensumstände sind und sowas. Nein, ich vergleiche mich mit mir selbst, mit meiner läuferischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ich musste aber auch an etwas anderes denken. Ich habe daran gedacht, ob vielleicht diese 1:21, die ich mal gelaufen bin, ob das vielleicht für immer meine Bestzeit bleiben wird, ich also vielleicht nie mehr schneller laufen werde als das. Kann es sein, dass ab jetzt alles schlechter wird, dass es bergab geht? Auf dem Radar habe ich das, ich bin bereit, lange schon eigentlich, aber ist es schon so weit?
Wie schrieb nicht Philip Roth in EVERYMAN – das Altern ist ein Massaker. Wenn er das schreibt, glaube ich ihm das. Er muss es wissen. Einen Einblick habe ich öfter schon mal bekommen, so einen klitzekleinen, wie bei diesem Lauf hier. Indem man erkennt, dass einen die eigene Stärke im Stich lässt, man nicht mehr aufschließen kann zu dem, was war. Traurig macht mich das nicht, gar nicht, ich bin da ganz Realist. Es geht nicht ums immer besser werden, sondern um die Erkenntnis, dass irgendwann Ende ist – Ende Gelände. Aus dieser Erkenntnis wiederum mache ich eine Tugend. Wenn man weiß, dass irgendwann Ende ist, dann ist der Moment ein besonderer, da nicht selbstverständlich.
Und wenn ich das begreife, dann macht mich genau das wieder glücklich, weil es mich erdet, runter bringt, und den Blick weitet auf das große Ganze. Warum laufe ich, warum bin ich hier, jetzt, in diesem Moment? Die Antworten darauf sind dann ganz klar und sie haben rein gar nichts mit Zeiten oder Wettkampf zu tun. Man sieht also, es gibt keine Niederlagen, nicht in diesem Sport. Und egal was ich mache, ob es gut läuft oder nicht, an diesen Ausgangspunkt der Erkenntnis komme ich immer wieder zurück. In diesem Sinne – KEEP ON RUNNING!