CO²-frei verreisen – ein Selbstversuch und Aufruf an alle Sportler
Deutschland möchte die Verkehrswende, möchte mehr Menschen in der Bahn und weniger in Autos. Als jemand, der noch nie ein Auto besessen hat, halte ich diese Maßnahme für überfällig, vor allem in Anbetracht dessen, dass ich weiß, dass es Länder wie zum Beispiel Dänemark gibt, in denen nahezu alles mit dem Rad erledigt wird. Ich meine hey, wir alle sehen den Klimawandel mittlerweile mit eigenen Augen vor unseren Haustüren, sich an Dramatik zuspitzend, und die Reduktion des Individualverkehrs ist einfach einer der zwingenden Hebel, die bedient werden müssen. In der Stadt auf ein Auto gänzlich zu verzichten ist absolut einfach und stellt für mich nicht im Geringsten einen Verlust dar, sondern einen Gewinn von Lebenszeit und Lebensenergie durch aktive Sportausübung jeden einzelnen Tag. Wo aber selbst mir der Verzicht auf ein Auto schwerfällt, ist der Urlaub. Vor allem dann, wenn man Familie hat und unzählige Dinge mitnehmen möchte, zum Beispiel für einen Campingurlaub. In einem Selbstversuch haben wir als kleine Familie den Versuch unternommen, einen (was den Transport angeht) CO²-freien Campingurlaub durchzuziehen und das auch ganz gut gemeistert. In diesem Artikel erfahrt ihr, wie wir das gemacht haben und dass es uns an nichts fehlte.
Warum ich einfach handeln muss
Gerade neulich hatten wir Erdüberlastungstag, der sich wieder einmal nach vorne verschoben hat. Wir alle sehen die Konsequenzen unseres Raubbaus an der Natur und für mich ist ganz klar, klarer als je zuvor, dass wir, jeder für sich, für uns handeln müssen. In Anbetracht der Lage, in der sich unsere Welt befindet, mache ich mir immer mehr Gedanken über meine eigene Rolle in dieser. Auf eine Antwort von oben bzw. eine Handlungsanweisung der Politik können wir lange warten. Es wird keine Lösung kommen und wie man am Erdüberlastungstag sehen kann, wird die Situation immer dramatischer. Ich für mich habe beschlossen, die Art und Weise, wie ich mich ernähre, wie ich wohne und mich fortbewege – für mich die wesentlichen Hebel zur Reduzierung des eigenen CO²-Footprints – zu überdenken. Die Umsetzung der ersten beiden Punkte sind vergleichsweise leicht. Wir alle haben die Möglichkeit zu entscheiden, ob wir uns durch Fleisch- und Milchkonsum an der immensen dieser zugrunde liegenden Umweltzerstörung beteiligen oder nicht. Wir alle haben die Möglichkeit zu entscheiden, ob wir durch Neubau eines Hauses zur zunehmenden Flächenversiegelung und damit Auslöschung intakter Natur beitragen wollen oder nicht. Es gibt Alternativen dazu und diese kommen aus meiner Sicht keinem Verzicht gleich, sondern lediglich einem Perspektivwechsel, einer Änderung der Sicht auf die Dinge. Richtig schwierig wird es allerdings bei der Art der Fortbewegung, der Mobilität.
Wir Läufer, Radfahrer Schwimmer, Kletterer, Wanderer, wir haben die Power die Crazyness und dem Spirit, hier ziemlich coole Aktionen durchzuziehen, und genau darin liegt einen enorme Kraft!
Mobilität neu denken
Auch bei der Mobilität habe ich, haben wir als Familie bereits umgedacht. Wenn wir in Berlin en Auto brauchen, was selten vorkommt, dann leihen wir uns eines über eine Carsharing-App. Ein Auto ist damit zu jederzeit verfügbar und immer in Fußnähe erreichbar. Schwieriger wird es nun beim Urlaub. Bei Reisen ins Ausland ist es einfach oft unumgänglich, den Flieger und ein Mietauto zu nutzen und ich finde das auch okay und mache das auch weiterhin. Meine Intention ist nicht der asketische Lebensstil mit Verzicht auf alle, auf keinen Fall! Bei Reisen in unsere Nachbarländer ist es aus meiner Sicht jedoch zumutbar, auf ein Auto zu verzichten und ich wir/haben bereits mehrfach geprobt, dass das problemlos geht. Vielleicht nicht so bequem, aber es geht und es ist keine Zumutung. Letztes Jahr fuhren wir nach Südtirol mit dem Zug, mit nicht mehr dabei als zwei Rucksäcken und einem Koffer. Mit dem Bus lies sich vor Ort auch die letzte Gondelstation erreichen und Dinge wie ein Fahrrad oder ein Standup-Paddel ließen sich vor Ort leihen. Es ist einfach unnötig, ein Auto an eine so gut angebundene Region wie Südtirol mitzunehmen. Gleiches machten wir dieses Jahr im italienischen Triest, und auch das hat gut funktioniert und es mangelte uns an nichts. Es ist doch so: Der Schaden an der Natur bei einem Urlaub entsteht durch den Transport, durch unsere Reise zum Urlaubsort und zurück. Wer einmal mit dem Auto über den Brenner nach Südtirol gefahren ist, der weiß, wovon ich rede. Um es mal auf den Punkt zu bringen: Durch unsere Reise zum Urlaubsort zerstören wird durch unseren CO²-Ausstoß für den Transport langfristig die Natur, die wir vor Ort sehen wollen, was unterm Strich absurd ist. Oft kommen Argumente wie: Aber wie soll ich denn all die Sachen mit in den Urlaub nehmen? Meine Erfahrung ist folgende: Egal wie groß das Auto ist, es ist immer voll, egal ob Golf oder VW-Bus. Für einen Südtirol-Urlaub reichen zwei Rucksäcke vollkommen aus, das ist einfach so. Das bedingt natürlich, dass man sich für einen Ferienort entscheidet, der eine Kraxel, einen Kinderwagen, der Fahrräder und was weiß ich noch alles hat. Aber das gibt es, man muss eben nur danach suchen, ein paar E-Mails schreiben und dann hat sich das auch. Warum muss jede einzelne Familie sämtliches Zeug die ganze Zeit mit sich herumschleppen? Warum kann man das nicht neu denken? Brauchen wir alle unser eigenes Standup-Paddel, die ja auch alle produziert werden müssen? Ist es nicht besser, diese vor Ort zu mieten, weil man wenige braucht, so wie im Prinzip Carsharing? Muss ich mit dem eigenen Wagen an der Gondelstation parken? Warum kann ich nicht mit dem Bus dorthin fahren? In all diesen Fällen muss ich auf nichts, auf gar nichts verzichten, ich teile lediglich Ressourcen mit anderen!
Autolos Campen mit Kind und Kegel
Jetzt aber der Härtetest. Im Juli gingen wir Campen am 90 Kilometer nördlich von Berlin gelegenen Naturcampingplatz am Ellbogensee. Beim Camping braucht man definitiv ein Haufen Sachen: Zelt, Schlafsäcke, Stühle, Tisch, Isomatten, Kocher und Geschirr und was weiß ich noch. Diese Sachen lassen sich ja auch nicht mieten! Wie, so fragte ich mich, würden wir mit all dem Zeug als autoloser Haushalt dorthin kommen? Die erste, logische Antwort war jene des Mietautos Auto mieten. Hinfahren, ausladen, Ende! Aber gab es nicht einen anderen, klimagerechten Weg?
Kreativ sein
Als unser Kleiner im wahrsten Sinne des Wortes noch „klein“ war, kauften wir uns einen gebrauchten CRUISER, also einen Kinderanhänger fürs Rad. Warum neu, gebraucht geht auch! Einen Cruiser deshalb, weil man diesen wie gesagt als Anhänger nutzen kann, zudem als Kinderwagen und – ganz wichtig – auch zum Laufen. Denn, wenn es dann so schön wackelt, fallen ganz schnell die Äuglein der Kleinen zu, und zwei Erwachsene haben eine Stunde Zeit für sich. Einer zum Laufen, der andere für etwas anderes. Und im Zuge meiner Überlegungen zum Campingurlaub kam ich auf den Cruiser. Laufen gehe ich ja eh ständig. Es ist für mich ganz normal, 60 Kilometer die Woche zu laufen, also könnte ich doch…
Es ist unglaublich, was in einen Cruiser alles reingeht: Zelt, Schlafsäcke, Isomatten, Campingtisch- und Stühle, Kocher und Kartuschen, Hängematte, einfach alles! Vorne schraubte ich das Joggerrad an, zog mir meine Laufsachen an, stieg in den Zug und los ging es. Näher als Fürstenberg kam ich nicht an den Campingplatz, also rannte ich die acht Kilometer dorthin. Den Hänger durfte ich dort am Campingplatz sicher deponieren und es ging wieder nach Fürstenberg und mit dem Zug nach Berlin. Alles in allem eine 5 Stunden Aktion, aber gute drei davon Training, das ich eh gemacht hätte. Unterwegs bekam ich übrigens öfter Applaus für die Aktion. Ich denke, viele halten die ganze Verkehrswende für einen großen Witz! Ich aber sage, dass das geht, wenn wir neu, anders denken! Am nächsten Tag fuhren wir dann alle mit unseren Rädern zum Campingplatz, diesmal nur noch Satteltaschen an den Rädern, und so war es für alle Beteiligten eine bequeme, zumutbare Reise. Wir machten das unter anderem deshalb in zwei Etappen, weil die Bahn gerade wegen des 9-Euro-Tickets besonders voll ist. Am Campingplatz angekommen, fragten uns viele ganz beeindruckt, wie wir das geschafft haben. Aber ganz ehrlich, schwer war das nicht. Viele reisten von Berlin aus an, mit VW-Bussen mit Klappdächern, eigenem Kanu, Rädern, Standup-Paddels, Grills, mit einfach unendlich viel Zeug. Ich möchte das gar nicht verurteilen, aber ganz ehrlich: Der Campingplatz liegt an einem See und es gibt dort einen Bootsverleih, wo man sich vom Kajak über einen Kanadier bis zum Standup-Paddel alles ausleihen kann. Warum brauche ich dann mein eigenes Kajak? Ich brauche es eben nicht, niemand braucht das! Bei 400 Gästen, die an diesem Campingplatz verweilten, hatten bestimmt die Hälfte ein eigenes Boot dabei, gute 95 Prozent ein riesen Auto, wozu? VW-Busse überall, die das Klischee bedienen, naturbewusster Outdoor-Typ zu sein. Aber unterm Strich kommt hier eine so krasse Masse zusammen, dass auch hier das Landschaftsbild, das ich haben möchte, massiv gestört wird, sei es durch Autos überall, Motorengeräusch überall und letztlich ein unvorstellbare Masse an CO², das ausgestoßen wird in unsere Atmosphäre. Unnötig im Prinzip, weil jeder mit dem Zug hätte anreisen können. Nicht nur hierhin, sondern an viele, viele Urlaubsorte überall in Deutschland. Können wir das nicht anders denken?
Wir Sportler können das!
Die Frage, die mich beschäftigt, ist folgende. Wir fahren in den Urlaub, und genau bei der Reise dort hin entsteht der Schaden. Wir machen dabei das kaputt, was wir sehen wollen, nämlich die unberührte Natur vor Ort, die langfristig Schaden nimmt, letztendlich durch den CO² angefeuerten Klimawandel, zu dem man durch die Fahrt selbst beiträgt. Das ist in gewissem Sinne ein Widerspruch, insbesondere für Sportler. Sie Fliegen oder fahren in die Berge und beginnen dort ihr Abenteuer. Und noch bevor es losgeht, ist der Schaden bereits verursacht. Ein Ansatz könnt aus meiner Sicht sein, die Fahrt zum Urlaubsort selbst zum Urlaub zu machen, indem man sich überlegt: Wie komme ich dort CO²-frei hin? Wir Läufer, Radfahrer Schwimmer, Kletterer, Wanderer, wir haben die Power die Crazyness und dem Spirit, hier ziemlich coole Aktionen durchzuziehen, und genau darin liegt die Kraft. Wir haben die Stärke und den Einfluss, andere zu beeinflussen und es uns gleich zu tun. Warum zum Beispiel zur Alpendurchquerung mit dem Rad nicht von zu Hause aufbrechen? Oder vom nächstgelegenen Bahnhof? Warum zuerst mit der Karre über den Brenner? Wozu? Warum? Die Natur ist unser Spielplatz, wir müssen diesen schützen, nicht wahr?
Beweisen, dass es geht
Wie ich schon sagte bin ich nicht davon überzeugt, dass Wandel durch die Politik ausgelöst wird. Wandel wird durch Einzelne ausgelöst, die einen Trend setzen, andere beeinflussen und damit eine Welle auslösen, die eine vorhergehende verdrängt. Beispielsweise geht derzeit der Milchkonsum in Deutschland drastisch zurück, hat sich in den letzten 50 Jahren halbiert (Quelle). Das passiert gerade nicht deswegen, weil das etwa von oben vorgegeben wäre, sondern es handelt sich um eine Bewegung, die sich aus individuellen Entscheidungen formiert hat und zur Welle geworden ist. Und genauso wird der Tag kommen, an dem die Vegetarier die Mehrheit bei uns im Land bilden werden, 1935 wird es soweit sein (Quelle). Der Schub ist eingeleitet, die Welle formiert sich, und Industrie und Politik sind nicht die, die vorgeben, sondern jene, die reagieren müssen. Es gibt also viel Grund zur Hoffnung, aber es muss auch klar sein, dass alles seinen Anfang nehmen muss. Die Verkehrswende ist noch am Anfang und wir Sportler können zeigen, dass es anders geht! Ich bin nicht radikal, möchte nicht radikal sein. Und auch ich werde weiterhin mit Mietautos und Flugzeugen verreisen. Jedoch werde ich die Art dieser Reisen reduzieren und bei Reisen, bei denen das möglich ist, weiterhin die Bahn und meine eigene Power als Möglichkeit der Anreise nutzen. Übrigens bekamen wir die Rückfahrt tatsächlich in einem Rutsch hin, indem wir ein Rad mit Satteltaschen ausstatteten. An das andere montierten wir den Hänger und unser Kleiner saß im Kindersitz. Und obwohl wir dachten, dass wir so niemals in den Zug kommen würden, erwies sich selbst dies als eine Leichtigkeit. Alles ist möglich!
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