Warum wir nicht weiter so leben (wohnen) können. Gedanken zum Erdüberlastungstag am 4. Mai 2022
Heute am 4. Mai ist Erdüberlastungstag. Was heißt das? Das heißt, dass schon jetzt alle Ressourcen für 2022 aufgebraucht sind (Quelle). Welche Rolle spielen wir eigentlich dabei? Nun, würden alle so leben wie wir Deutsche, bräuchten wir drei Erden! Wir alle wollen den Klimawandel verhindern bzw. begrenzen, nicht wahr? Die Diskrepanz zwischen dem, was wir wollen und was wir tun, geht erfahrungsgemäß weit bis sehr weit auseinander. Ich habe hier schon viel darüber geschrieben, was jeder von uns tun kann bzw. sogar muss, um einen wichtigen Beitrag des Erhalts unserer Welt zu leisten, zum Beispiel:
- Wie wichtig eine vegetarische Ernährung ist, nicht nur in ökologischer und etischer Hinsicht, sondern auch zur Pandemievermeidung
- Wie wichtig ist es ist, die Ozeane durch durch Vermeidung von Plastikabfall zu schützen
- Dass wir das Wegwerfen von Lebensmitteln unbedingt zu vermeiden müssen
- Wie wichtig ist es ist, wenn irgendwie möglich vom Auto auf das Rad umzusteigen
Ich weiß dass ich hier Gefahr laufe, besserwisserisch zu klingen. Aber sei es drum. Ich werde nicht müde, hier gebetsmühlenartig zu wiederholen und nochmal zu wiederholen, wie wichtig es ist, dass jeder von uns SOFORT handelt. Letztlich ist das das Einzige, was ich tun kann und ich kann meinen Kindern irgendwann wenigstens sagen, dass ich es mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln versucht habe. In diesem Artikel soll es nun um einen der wichtigsten Hebel hinsichtlich dem Ausstoß von CO² gehen, den wir alle – jeder Einzelne von uns – bedienen können, um unseren klimatischen Footprint zu reduzieren. Nämlich die ART UND WEISE, WIE WIR WOHNEN!
120 Millionen Tonnen CO²
Im Jahr 2017 waren weit mehr als Hälfte der 120 Mio. Tonnen CO² auf die Wärmeerzeugung von Häusern zurückzuführen (Quelle)und damit ist klar, dass die Frage, wie und wo wir leben wollen, eine ganz entscheidende ist. Klar ist dass jemand, der eine größere Wohnfläche für sich in Anspruch nimmt, einen größeren Fußabdruck hinterlässt als jemand, der auf weniger Fläche wohnt. Es wäre logisch, dass einhergehend mit der steigenden Weltbevölkerung der Wohnraum pro Person sinken würde, damit bei mehr Menschen der Schaden zumindest nicht größer wird. Das Gegenteil ist – zumindest bei uns in Deutschland – der Fall. Wir Deutschen leben auf immer mehr Fläche und stoßen immer mehr CO² pro Kopf gemessen auf den Quadratmeter Wohnfläche aus. Damit einher geht eine immer größere Versiegelung von natürlichen Flächen, ein damit wiederum zusammenhängendes Sterben der Arten und ein ganzer Rattenschwanz negativer Folgen, wie zum Beispiel die Notwendigkeit der Nutzung mehrerer PKW, die wir nur deshalb brauchen, weil wir auf dem Land leben wollen.
Immer mehr Wohnraum pro Kopf
In Deutschland wird nach einer aktuellen Studie von Empirica pro Kopf auf immer mehr Wohnraum gelebt. Auf dem Land stieg der Flächenbedarf pro Kopf von 2015 bis 2020 auf knappe 51 Quadratmeter, in der Stadt auf knappe 41 Quadratmeter. Nun muss man solche Zahlen natürlich interpretieren. Menschen wandern derzeit aufgrund der niedrigeren Preise und dem Wunsch nach mehr Freiraum in die Peripherie ab und bauen dort in erster Linie Einfamilienhäuser. Die Corona-Pandemie ist natürlich ein Verstärker dieser Tendenz. Gleichermaßen werden durch den demografischen Wandel, also der alternden Gesellschaft wegen, vermehrt Wohnungen und Häuser frei, was die Pro-Kopf-Fläche rechnerisch erhöht, auch ohne dass gebaut wird. Weiterhin führt die zunehmende Zahl an Single-Haushalten dazu, dass heute weniger als zwei Personen in einer Wohnung leben, was ebenfalls zu mehr Flächenbedarf pro Person führt, da in einer Wohnung in der Regel immer auch mindestens zwei Personen leben könnten, nicht nur theoretisch sondern in den meisten Fällen auch praktisch. Die genannten Flächenwerte sind Durchschnittswerte. Je kleiner die Gemeinde ist, desto größer ist die Wohnfläche pro Kopf, d.h. die Flächen gehen deutlich über die genannten Werte. In den Metropolen sind die Flächen niedriger, weil der Markt härter umkämpft ist, die Flächen rar sind. So viel zur Interpretation, in die man natürlich vertieft einsteigen könnte. Aber auch ohne dass man das macht, ist eine Tendenz erkennbar, und die lautet: DER FLÄCHENBEDARF STEIGT PRO KOPF. Man muss nun hinterfragen, was das bedeutet, und damit meine ich unsere klimapolitischen Ziele und damit die Bewahrung unserer Welt. Denn die Art und Weise, wie wir wohnen, hat damit unmittelbar zu tun. Mehr zu bauen bedeutet Flächenversiegelung und mehr CO²-Ausstoß, und zwar langfristig. Gemäß dem derzeitigen Trend der Flucht von der Stadt auf das Land werden die Flächen pro Kopf weiter steigen, weil dort in erster Linie Einfamilienhäuser gebaut werden. Das ist keine gute Entwicklung!
Das Problem mit dem Einfamilienhaus
Es wird wohl niemanden überraschen, dass ein freistehendes Einfamilienhaus im Vergleich zu einer Geschosswohnung einen größeren Wärmeverlust hat, weil jede einzelne Wand und eben auch das Dach eine Außenfläche ist. In einer Geschosswohnung ist das eben nicht so, weil eine Wohnung die Wärme an die darüber liegende abgibt. Klar ist auch, dass der Flächenverbrauch pro Kopf und auch damit der Bedarf an Energie in einem Einfamilienhaus größer ist als in einer Wohnung. Und wenn man nun zur Kenntnis nimmt, dass…
- Pro Jahr 100.000 Einfamilienhäuser hochgezogen werden
- Dass diese über 30 Prozent des Gesamtwohnraums einnehmen
- Dass diese über 40 Prozent der gesamten, bebauten Fläche ausmachen
- Dass Verkehrs- und Siedlungsflächen von den 90ern bis heute um ganze 10.000 auf über 50.000 Quadratkilometer gestiegen sind
… dann liegt auf der Hand – WIR HABEN HIER EIN PROBLEM!
Und dieses Problem hört nicht an der Eingangstür auf, es zieht sich hier fort. Wer auf dem Land lebt, braucht ein Auto, um zur Arbeit zu pendeln. Nicht selten werden pro Haushalt auch zwei Autos benötigt. Sieht man sich die täglichen Staus an, egal wo, dann sieht man, welch gravierende Konsequenzen das hat. Dies wiederum zieht Flächenversiegelung nach sich. Knappe 1.500 m² werden pro Einwohner in einer Gemeinde kleiner als 2.000 m² verbraucht. Zum Vergleich: In der Stadt sind es knappe 200m² (Quelle).
Die Perspektive
Wie schon beim Veggie Day gerieten die Grünen auch mit der Diskussion ins Fadenkreuz, Einfamilienhäuser zu verbieten. Beide Gedankenzüge halte ich persönlich für korrekt und absolut legitim. Wer das nicht so sieht, den frage ich jetzt: IST DEIN PLAN, DIE WELT MIT WEBERGRILLS, EIGENEM POOL IM GARTEN, AUTOS UND EINFAMILIENHÄUSERN ZU RETTEN? UND WENN NICHT, WAS SCHLÄGT DU VOR? Natürlich geht es nicht, Menschen aufgrund ihrer Lebensweise zu verurteilen und abzustrafen, aber die Weichen für die Zukunft müssen gestellt werden, damit meine ich:
- Die Diskussion darüber, ob Einfamilienhäuser zeitgemäß sind, muss geführt werden
- Eine Kultur der Mäßigung zugunsten des Klimaschutzes darf keine Theorie sein, sie muss gelebt werden
- Der Trend, dass immer weniger Menschen in einer Wohnung oder in einem Haus leben, muss gestoppt werden
- Der von der Pandemie verursachte Wunsch, mehr Platz im Grünen zu haben, muss kritisch hinterfragt werden
- Die Wohnung oder das Haus muss sich im Verlauf des Lebens an die Lebensumstände anpassen. Es kann nicht sein, dass Familien mit Kindern auf 60 m² leben müssen und alleinstehende Rentner auf 120. Hier müssen Anreize gesetzt werden, zum Beispiel durch Mehrgenerationenhäuser
- Wo es nur geht, muss Bestand umgebaut und angepasst und Neubau vermieden werden, damit die Flächenversiegelung nicht weiter zunimmt und das Artensterben gestoppt wird
Ein Blick auf die Welt
Wie bei Debatten um Windräder oder Tankrabatt sind wir Deutsche immer ganz vorne dabei, wenn es heißt, herum zu nörgeln und andere Länder zu beschuldigen, für den Zustand der Welt verantwortlich zu sein. In Bezug auf den Wohnflächenverbrauch sind wir, wie auch bei CO²-Ausstoß pro Kopf, nicht nur in der ersten Liga, sondern in der Champions Leage. Hier der Wohnflächenverbrauch in Zahlen für einige Länder:
- Deutschland 47,7 m² (Quelle)
- Japan: 35,7 m²
- China: 30 m²
- Österreich, Schweiz: 45 m²
- England, Schweden, Frankreich , Spanien: 31m² (Quelle)
- USA: 75m²
- Brasilien: 24m²
- Russland: 22m²
- Türkei: 18 m²
- Nigeria: 6m²
Damit ist klar, dass wenn irgendjemand auf der Welt sich ändern muss, dass das WIR selbst sein müssen und sonst niemand.
Ein Plädoyer für die Stadt
Mit Blick auf die Welt mit einem steten Wachsen der Weltbevölkerung kann aus meiner Sicht nur die Urbanisierung die Lösung sein, nicht das kleine Haus im Grünen. Die Flächen der Welt dürfen nicht weiter kopflos versiegelt, die Natur muss um jeden Preis erhalten werden. Und das geht nur, wenn wir in Städten leben, auf kleinerem Raum, und uns Ressourcen teilen:
- Was ist so schlimm daran, sich den Garten mit anderen zu teilen – man nennt es Park
- Was ist so schlimm daran, statt im eigenen Pool im Garten mit anderen zusammen schwimmen zu gehen – in einem Schwimmbad
- Warum muss es das eigene Trampolin im Garten sein – und nicht der Spielplatz?
- Warum brauche ich einen Carport und zwei Autos – wenn man sich Autos per Carsharing teilen kann?
Ich plädiere für eine maximale Verdichtung in Metropolen und radikale Schonung der Natur. Beispiele wie Hongkong oder Barcelona – beide Städte sind zur einen Seite von Bergen und zur anderen vom Meer eingeengt und zur Verdichtung gezwungen – zeigen, dass eine gut geplante Stadt äußerst lebenswert sein kann. Barcelona liebt so gut wie jeder! Wenn ich von meiner Wahlheimat Berlin aufs Land fahre und mir die Einfamilienhaussiedlungen ansehe, dann wird mir immer wieder bewusst, wie privilegiert wir Deutschen sind, wie abnormal wir die von der Natur gegebenen Flächen behandeln, immer mehr nehmen und nichts, aber auch gar nichts geben. In den steinernen Vorgärten wird keinem einzigen Lebewesen mehr das Recht auf Leben zugesprochen. In jedem Garten steht ein Trampolin, in jedem zweiten werden Gruben für den Pool ausgehoben. In den Carports stehen die Autos, mit denen gependelt wird, jeden Tag. Überall stehen die Grills, während die Tiere millionenfach abgeschlachtet werden, zulasten der Regenwälder, der Artenvielfalt und des Grundwassers. Und wehe, ein Windrad wird in der Nähe gebaut, wehe! Das ist Irrsinn! Wir können nicht so leben, dass alle Ressourcen für das Jahr im Mai verbraucht sind, das geht einfach nicht. Was ist nur los mit uns? Wir leben auf Pump zu Lasten der Menschen in den armen Regionen der Welt, deren Flächen austrocknen und Meersesspiegel steigen. Und es ist uns scheißegal!
Was will der Typ eigentlich?
Einfach mal darauf aufmerksam machen, wie privilegiert wir sind, fürs Erste! Ich finde dass wir einfach mal für uns anerkennen sollten, dass hier bei uns gewaltig etwas falsch läuft und dass es so noch weitergehen kann. Es kann nicht sein, dass wir uns über hohe Spritpreise, Windräder und teures Fleisch aufregen. Wir sollten vielmehr daran interessiert sein, wie wir es schaffen, unsere Mobilität zu ändern, unsere Häuser nachhaltig zu erwärmen und kühlen, wir sollten verdammt noch mal unser Verhalten ändern, statt uns aufzuregen. Wir sind immer schnell dabei, die Chinesen oder die Inder als Klimakiller darzustellen und sind selbst pro Kopf die größten Dreckschleudern dieses Planeten. Das ist einfach mal trauriger Fakt und ich möchte dazu beitragen, dass das verstanden wird! ich möchte, dass kapiert wird, dass das einfach nicht geht! Wir sind dabei, die Karre mit zweihundert Sachen gegen die Wand zu fahren. Ich möchte, dass das jedem klar ist! Unsere Wälder sterben, unsere Tiere auch, die Meere steigen, Landstriche vertrocknen, Menschen verdursten, Stürme verwüsten ganze Städte! Ist es da zu viel verlangt, ein Windrad im Pfälzer Wald aufzustellen, auch wenn es nicht so gut aussieht im dichten Grün? Ist es zu viel verlangt, auf Fleisch zu verzichten, wenigsten an ein paar Tagen die Woche? Ist es zu viel verlangt, mit dem Rad zum Bäcker zu fahren? Ist es so schlimm, in einer Wohnung oder wenigstens Mehrfamilienhaus zu leben? Muss es immer mehr von allem sein?