Reinhold Messner: Mein Leben am Limit (Buchrezension)
Es gibt, ich persönlich das empfinde das so, nur wenige Menschen, die wirklich etwas zu sagen haben, wovon viele andere Menschen wirklich etwas für sich mitnehmen, etwas lernen können. Natürlich, große Worte sind schnell gesagt in einer Welt, in der heute in allen Bereichen ein geradezu unerträgliches, marktschreierisches Verhalten an den Tag gelegt wird. Überall wird: „ich, ich, ich!“ gerufen. Jedoch nur so lange, bis es darum geht, Worten auch Taten folgen zu lassen. Mich persönlich interessieren nur Taten, mit einem Konjunktiv kann ich, kann die Welt nichts anfangen! Ich hätte, ich würde, wenn ‒ das ist doch für die Tonne! Aber es gibt dann doch jene Menschen, die das Gesagte durch ihr Tun unter Beweis stellen und dadurch in der Lage sind, diese Welt ein Stück weit zu verbessern. Und meistens macht es diese Sorte Mensch fast nie durch wildes Herumgefuchtel auf den Bühnen dieser Welt, sondern eher ganz leise und bedacht, und doch so gewaltig, dass man als Zuhörer wirklich merkt, es hier mit etwas Echtem zu tun zu haben. Es erging mir zum Beispiel so, als ich Sebastiao Salgado in das Salz der Erde zuhörte. Jenem Menschen, der das Leid der Welt bewusst aufgesucht, seine Lehren daraus gezogen und vor Ort richtig was bewegt hat. Es erging mir so bei Alex Honnold, dessen bescheidene Lebensweise in Kombination mit enormem Ehrgeiz ihn nicht an außerordentlichen Leistungen hindert. Und es erging mir so bei diesem Buch hier, als ich die Worte Reinhold Messners las.
Kindheit
Bei dem Buch handelt es sich um eine Biographie im Gespräch, Frage und Antwort also. Im Prinzip ist der Verlauf chronologisch aufgebaut, beginnend mit der Kindheit Reinhold Messners in Südtirol von 1949 bis 1969. Dort wächst er mit vielen Geschwistern mit einer starken, liebevollen Mutter und einem strengen, unglücklichen und oft brutalen Vater auf. Kein Wunder, hat dieser doch die Gräuel des Krieges erlebt wie so viele heimkehrende Väter. Seinen Bruder Günther, vom Vater verprügelt vor der Hundehütte kauernd, dieses Bild hat Messner heute noch klar vor Augen. Doch er lehnt sich gegen den Vater genauso auf wie gegen die herrschenden Sitten im Südtiroler Tal, in dem er lebt. Dort sind alle stets fleißig, unentwegt mit Arbeit beschäftigt, auch die Kinder. Man geht in die Kirche, nicht weil man glaubt, sondern weil es sich so gehört. Und für die wunderbaren Berge, für die hat man keinen Sinn. Was dahinter liegt, interessiert nicht! Was interessiert, ist das Holz aus dem Wald, das Heu aus den Wiesen, die darüber liegende, karge Bergwelt ist nicht verwertbar, weshalb auch niemand dorthin und darüber hinausgeht. Das aber will Messner, der – eine Zeitung gibt es zu Hause nicht und weiter als nach Bozen wurde nie gereist – mit der: „Wen du nicht fertig lernst, dann hast du keinen Beruf!“ – Mentalität herzlich wenig anfangen kann. Schon als Jugendlicher spürt er, dass das wahre Wissen, welches er sucht, nicht in der Schule, sondern im Leben und der Realität, wie er sagt, zu finden ist. Er würde alt und verzweifelt sein und beschließt, gegen alle Selbstzweifel und Widerstände zu rebellieren.
„Mein Krankheitsbild ist umrissen mit: Lebenslust durch Einsatz des Lebens!“
Schon mit 5 Jahren unternimmt er Klettertouren und zieht schon bald mit seinem Bruder Günther alleine los, um den Saß Rigais, die Geislerspitzen oder die Ostwand der kleinen Fermada zu erklimmen. Bei letzterer ist er gerade mal zwölf Jahre alt und klettert – damals ist man noch nicht wie heute abgesichert – voraus: „Wenn ich da runterfalle, bin ich tot!“ Er und Günther werden ein, wie er sagt, unschlagbares und legendäres Kletterteam. Die beiden klettern schneller als alle anderen, weil sie die Praxis des Hakenschlagens neu erfinden. Diese werden nicht an schwierigen Stellen geschlagen, sondern schon davor, was wesentlich kräfteschonender ist. Auf diese Weise gelingen den beiden viele Erstbegehungen, und nicht selten wird es gefährlich, wie bei der senkrechten Pelmo Nordwand, wo er bei Blitz und Hagel ums Überleben kämpft. Da ist er 18 Jahre alt und gehört einem kleinen Kreis extremer Bergsteiger an: „Wir Extreme aber gehen freiwillig in die Hölle und sagen allen Kritikern: Lasst mich in Ruhe, ich habe selber entschieden, ich will es wagen!“ Die Bürgerlichkeit interessiert ihn nicht, ihn langweilt, wie er so schön sagt, jede Art des Herumwartens. Nur die Tat zählt für ihn, sonst nichts. Messner beschreibt sich zu dieser Zeit als aggressiven, zu Wutausbrüchen neigenden, schüchternen Menschen.
In eisige Höhen
Zwischen 1969 und 1989 wird Reinhold Messner weltberühmt, weil er Dinge vollbringt, die bis dato als unmöglich galten. Tief unglücklich an der Universität und von dem Gefühl erfüllt, sein Leben zu versäumen, gibt er den bürgerlichen Lebensweg ein für allemal auf. Auf Expeditionen u.a. in die Anden folgt die Besteigung der Droites-Nordwand – die schwierigste Eiswand der Alpen – ohne Seil und damit einhergehend der Beginn einer Profikarriere. International bekannt geworden, erhält er die Einladung zur Expedition des Nanga Parbat ‒ der Herausforderung schlechthin zu dieser Zeit ‒ bei der er als Nummer Eins zum Gipfel vordringen soll. Natürlich sagt er zu, genauso wie sein Bruder Günther, der aufgrund eines Ausfalls hinzustößt und für die Expedition gar seinen Job kündigt. Dieser Zufall führt in die größte Tragödie in Messners Leben.
„Ich wusste genau: Was ich tue, traut sich sonst niemand!“
Die Tragödie
Viele kleine Datails können in großer Höhe ganz schnell zum Verhängnis führen. Alles beginnt mit einem Signal des Expeditionsführers namens Herrligkoffer an Messner, den Aufstieg solo zu versuchen. Allein diese Entscheidung ist höchst zweifelhaft. Messner geht also alleine los im Wissen, dass keiner nachsteigt, zur Not also keine Hilfe nacheilen wird. Bruder Günther, der eigentlich warten soll, steigt ihm nach, und hat zu allem Übel kein Seil dabei. Als Reinhold auf seinen Bruder trifft und das erkennt, da weiß er schon, dass es kritisch wird, zumal die Situation zu zweit auch gefährlicher ist als allein. Ihm ist bewusst: Er ist der Hüter seines Bruders. Die beiden hätten nun umdrehen können, was sie aber nicht machen, weil sie beide die Gipfelchance nutzen wollen. Das schaffen sie. Was sie nicht schaffen ist es, herunter zu kommen, vor allem deswegen, weil Günther, mit den Kräften am Ende, immer wieder zurückbleibt. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als sich zum Südgipfel zu retten und dort die Nacht zu verbringen, ohne Lager, in eisiger Kälte.
„In Todessituationen nicht umzukommen, ist das Entscheidende!“
Zu schwach zum Umkehren beschließen sie, die berüchtigte Rupalwand hinunter zu klettern, zu der Messners Vorbild Hermann Buhl einmal sagte: Für alle Zeit unmöglich, ein Versuch allein wäre Selbstmord . Diese 4.500 Meter hohe, bodenlose, senkrechte Wand aus Eis klettern die beiden hinunter, nach mehreren Tagen ohne Essen und Trinken, ohne Seil. Und als wäre das nicht genug, zieht noch ein Sturm auf, der sie auf einem Felsvorsprung kauernd zu einer weiteren Übernachtung zwingt. Messner beschreibt diesen Abstieg als Situation, in der das Dasein nur noch Schmerz ist. Wir wissen, was passiert. Der Bruder wird es nicht überleben und Messner wird bis heute von manchem Bergsteiger vorgeworfen, seinen Bruder dem Rekordversuch geopfert zu haben, den Nanga Parbat über die Rupalwand zu überschreiten. Fragen wie: „Warum habe ich überlebt und Günther nicht“, stellt er sich bis heute. Letztlich sind diese Geschehnisse am Berg aber etwas, was man als Außenstehender nicht verstehen kann. Messner bezeichnet es als einen Widerspruch: „Im Widerstand gegen den Tod erfahren wir Menschen erst unser Menschsein!“
Messner wird weltberühmt
Auch Messner selbst überlebt dieses Abenteuer nur knapp. Sieben Zehen werden ihm im Anschluss amputiert und sein Leben als Kletterer ist dabei vorbei. Aber Reinhold Messner wäre nicht Reinhold Messner, wenn es sich durch so eine Lappalie stoppen ließe. An dieser Stelle seines Lebens zeigt sich eine seiner großen Stärken ‒ sich immer wieder neu zu erfinden, das Geschehene zurück zu lassen und etwas Neues zu wagen. Klettern kann er nicht mehr. Was er aber stattdessen tun kann, ist Höhenbergsteigen, und diese Wandlung leitet Messners Himalaya-Abenteuer ein, welches ebenfalls mit einer Tragödie beginnt.
„Es gibt in der Gefahr Momente, die nicht zu überleben sind. Wer diese Zusammenhänge nicht versteht oder akzeptiert, darf nicht am Limit bergsteigen!“
Am Manaslu zeigt sich einmal mehr, dass selbst kleinste Fehler blitzschnell in den Tod führen können. In einem Schneesturm verlieren einige seiner Mitstreiter die Orientierung und finden das sichere Zelt nicht mehr ‒ sie bezahlen es mit ihrem Leben. Erneut heftiger Kritik ausgesetzt, beschließt er fortan, nur noch Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und versucht die Besteigung des Nanga Parbat im Alleingang mit lediglich mit einem Rucksack auf dem Rücken. Er scheitert, u.a. deswegen, weil ihn das Alleinsein plagt. Es ist die fehlende Seilschaft, die fehlt, das Teilen von Glück und Angst. Und so findet eine weitere legendäre Seilschaft zusammen, die Geschichte schreiben wird. Zusammen mit Peter Habeler zieht er fortan los, mit einem Minimum an Ausrüstung die höchsten Berge der Welt zu besteigen. Während Expeditionen mehrere Tonnen Material mit sich herumschleppen, sind Messner und Habeler mit knappen 200 Kg Ausrüstung unterwegs. 1978 ist Messner der erste Mensch, der es ohne künstlichen Sauerstoff auf den Gipfel des Everest schafft, ein Erfolg mit weltweiter Wirkung.
„…Einverständnis mit dem Tod ist ein angenehmer, friedlicher Zustand. Der Tod ist eine Tatsche. Er gehört dazu! … Zuletzt ist ein in den Tod sinken….Nein, Sterben ist gar nicht schlimm.“
Wirtschaftlicher Erfolg
Mit dieser Leistung kennt auf der ganzen Welt jeder den Namen Reinhold Messner, der mit seinem Alleingang auf den Everest im Jahr 1979 nochmals die eigene Messlatte so dermaßen hinaufsetzt, wie es niemand für möglich gehalten hätte. Damit kommt auch der wirtschaftliche Erfolg. Seine Bücher, die er schreibt, werden zu Bestsellern. Erst jetzt bekommt er auch in seiner Heimat die Anerkennung für seine Leistung, die man ihm immer verwehrt hat. Doch um Geld geht es ihm nie: „Besitzen ist langweilig, Verpflichtungen, Verantwortung. Es interessiert mich weniger als das Erschaffen!“ Geld verwendet er ausschließloch, um neue Projekte zu finanzieren, die er so kompromisslos verfolgt, dass seine Beziehung zu Uschi Demeter in die Brüche geht.
„Die Menschheit wäre glücklicher, wenn sich nur viele Menschen entsprechend ihren Vorlieben, ihren Bedürfnissen, ihren Notwendigkeiten ausdrücken könnten!“
Neue Abenteuer
Zwischen 1986 und 2004 erfindet sich Messner immer wieder neu. Er spürt, dass eine Zeit als Höhenbergsteiger vorbei ist, und wendet sich neuen Abenteuern zu. Mit Arved Fuchs durchquert er, wie er sagt, die stumme, winddurchfegte Unendlichkeit der Antarktis, mit seinem Bruder Hubert später Grönland, bevor die beiden versuchen, es von Sibirien nach Kanada zu schaffen. Später dann im Alleingang die Wüste Gobi. In Tibet spürt er den alten Wegen der Sherpa-Wanderungen nach, macht sich auf die Suche nach dem mystischen Yeti.
Die großen Abenteuer sind vorbei
Die großen Abenteuer vorbei, was für ihn jedoch nicht heißt, im Sessel Däumchen zu drehen, wie es andere tun. Im Europäischen Parlament versucht er bis 2004, auch politisch die Welt zu verbessern. Letztlich treiben ihn sein Wunsch nach Eigenverantwortung aber in eigene, nachhaltige Projekte wie ein Hilfsprojekt im Himalaya und in sein wohl letztes, großes Lebensprojekt ‒ den Aufbau des Messner Mountain Museums in Südtirol. Gegen alle Widerstände und unter großem finanziellen Risiko baut er an insgesamt sechs atemberaubenden Standorten Museen auf, die sich jeweils unterschiedlichen Themen des Alpinismus widmen. Zur Ruhe setzen wird er sich wohl nie, muss immer etwas tun. Ja, aus Ideen Taten zu machen, das war und ist sein Leben. Sich immer wieder neu zu erfinden, neue Aufgaben zu suchen, das empfindet Messner als Teil des Glücks, dass ihn lebensfroh und kreativ macht.
Fazit
Jetzt habe ich viel beschrieben, um was es so geht. Aber es ist das „Wie“, die Art und Weise, wie er es erzählt. Diese Entschlossenheit, Kompromisslosigkeit, diese absolute Überzeugung, die mich schwer begeistert hat. Ein MUST-READ, ihr Lieben!
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