Warum man Autofahren kaum noch rechtfertigen kann
ACHTUNG, stark polarisierender Artikel (manchmal muss das sein!). Wer das nicht verträgt, BITTE NICHT WEITERLESEN!!!
Das Päckchen, welches da in meiner Packstation liegt, sieht so stylisch aus wie ein Apple-Produkt. Es reiste von Schweden bis zu mir nach Berlin. Darin ist eine Atemmaske, gemacht für Menschen, denen man ein Grundrecht versagt – das Recht auf saubere Luft. Das nämlich haben sich ein paar Jungs aus dem Norden zum Ziel gesetzt, als sie als Kickstarter ihre Idee auf den Markt warfen. Jeder auf der Welt sollte genauso saubere Luft atmen dürfen wie in den Weiten Skandinaviens. Immer mehr Menschen legen in Berlin ihren Arbeitsweg mit dem Fahrrad zurück und bieten dem Autoverkehr Paroli. Sie setzen sich ein für die Umwelt, indem sie ihren CO²-Ausstoß deutlich reduzieren. Dieser Einsatz wird jedoch bestraft von jenen, die die Umwelt verschmutzen – den Autofahrern.
Das Leben ist nicht fair
Das Problem bei Radfahren ist, dass unter Bewegung wesentlich mehr Luft in die Lunge strömt, als dies bei einem Fußgänger der Fall ist. Unfairerweise trifft es die Autofahrer, die für den ganzen Dreck verantwortlich sind, überhaupt nicht. Erstens bewegen sie sich überhaupt nicht, sind also mit der niedrigsten Herzfrequenz unterwegs, und zweitens sind sie geschützt in einer Blechbox mit einem Filtersystem, das sie vor ihrem eigenen Dreck schützt, den sie verursachen.
„Den bitte schön können ja die ganzen Penner da draußen einatmen!“
Dieser Dreck, dieser Smog und Feinstaub ist so klein, dass er bis in die Lungenbläschen, gar in die Blutbahn eindringt. Abermillionen Partikel sind das, die pro Atemzug Schaden in uns anrichten, entstanden aus dem Abrieb der Reifen auf der Straße und dem ganzen verlogenen Mist, der da aus den unzähligen Auspuffrohren strömt. Auf den Punkt gebracht heißt das also, dass jemand, der sich auf Pedalen oder zu Fuß aktiv für den Klimaschutz einsetzt, bestraft wird. Und zwar deshalb, weil sie den Dreck der Klimakiller – denn das sind zumindest die Autofahrer, die ihr Auto aus Bequemlichkeit benutzen, also der aller größte Teil – einatmen müssen.
Selbst Schuld
„Selbst Schuld“, sagt mein Kollege scherzhaft zu mir, als wir gemeinsam an der Kaffeemaschine auf unseren Cappuccino warten. Er sah mich mit dem Fahrradhelm ins Bürokommen und wir sprachen daraufhin über das Thema Radfahren in der Stadt. Irgendwann sagte ich ihm, dass das einzige Problem die ganze dreckige Luft ist, die ich auf dem Weg hierher einatmen muss. Darauf hin entgegnet er den oben genannten Satz: „Selbst Schuld“, ich bestrafe mich da schließlich selbst. Obwohl dies nur ein kurzer Kaffeeplausch ist, so schwingt hier doch schon einiges zwischen den Zeilen mit. Denn der Dialog zeigt doch, was jemand, der Auto fährt von jemandem hält, der Rad fährt, nämlich ungefähr das:
„Wahnsinnige Irre, die ihr Leben aufs Spiel setzen und die ganze Mistluft einatmen, statt wie alle anderen auch in der Karre zur Arbeit zufahren – Idioten! Und dann noch beschweren und uns die Fahrspur wegnehmen und bei Rot über die Amel fahren – Deppen!“
So etwas in der Art denken DIE. WIR dagegen denken das hier:
„Wenn jeder Fahrrad fahren würde, so wie ich, der Typ vor und das Mädel hinter mir, dann wäre diese Welt eine bessere! Wir müssten uns nicht mehr unterhalten über dreckige Luft, denn diese gäbe es nicht mehr. Wir wären auch nicht mehr eines der fettleibigsten Völker auf der Welt, da wir uns mehr bewegen würden als vorher. Und den ganzen Raum zwischen den Häusern, ja das könnte man alles begrünen und den Wald zurückholen – was weiß ich, uns fällt da schon was ein!“
GO FUCK YOURSELF, du verdammter Klimakiller
Unterm Strich prallen hier also zwei Welten aufeinander, und aus meiner Sicht kann man das durchaus auch mal pauschal an die Wand klatschen. Da sind DIE, die die Umwelt zerstören und WIR, die wir sie schützen. Für UNS steht außer Frage, dass WIR Recht haben in dieser Angelegenheit. Die richtige Antwort zu meinem Kollegen wäre also die folgende gewesen:
„Wegen Penner wie dir müssen sich Millionen hier bei uns und weltweit Abermillionen von Menschen um ihre Gesundheit sorgen. Nur, weil DU keinen Bock hast, dich auf ein Fahrrad zu setzen!“
Und wenn man das wirklich mal behutsam in Schonhaltung zu jemandem sagt, so wie man das halt so macht, dann kommen Antworten wie:
„Ohne Auto geht’s nicht, Kind in der Schule abholen, einkaufen gehen und so, geht alles nicht, wie denn auch?“
Ja und dann, dann könnte ich anfangen von Kopenhagen, wo alle Fahrrad fahren und darüber hinaus zu den statistisch glücklichsten Menschen der Welt gehören – woran das wohl liege! Aber nein, es bringt nichts, es bringt gar nichts. Denn, die Leute raffen es einfach nicht. Ich meine, was bitteschön kann man denn zu einem SUV-Fahrer sagen, der mit seiner riesigen Dreckschleuder 500 Meter zur Bäckerei fährt und den Motor laufen lässt, während die Frau hineinschlappt und Brötchen kaufen geht. Wie macht man so einem Typ klar, was für eine Scheiße er dieser Welt verdammt nochmal antun. Da ist doch jedes Wort zu viel! Wahrscheinlich sind das noch genau die Leute, die sich abends vor den Fernseher setzen und sagen: „Oh Mann ist das alles schlimm, jemand müsste da doch mal was tun und so.“ Zwei Dinge kann man meines Erachtens tun: Die Karre mit einem Baseballschläger demolieren – Gewalt ist allerdings nicht mein Ding und Gefängnis irgendwie auch nicht wirklich – oder so etwas sagen wie:
„GO FUCK YOURSELF, du verdammter Klimakiller!“
Das finde ich dann wieder ganz okay. Weil man das ja aber auch nicht so sagt – Nächstenliebe und so – zeigen wir unsere Verachtung in Berlin mit der Critical Mass. Tausende, teils zehntausende Radfahrer fahren in einem Zug durch die Stadt und zwingen die Autofahren zum sehr langen Warten an Ampeln. Nur so geht es, leider! Das ist unser GO FUCK YOURSELF, ganz schonend rübergebracht. Denn – wir haben Recht, denn wir schützen die Umwelt, während ihr sie kaputt macht. So sehe ich das! Und weil euch sowieso scheinbar alles scheißegal ist, nehmen wir uns jetzt mal die Straßen, denn die gehören nicht nur euch, und ihr entspannt euch mal schön eine halbe Stunde lang, bis es weiter geht.
Die Hard Facts
Derzeit bin ich am überlegen, mir eine dieser Reflektor-Westen fertigen zu lassen, mit eigener Aufschrift. Das ist meine Idee: Oben wäre ein Fahrrad abgebildet, rechts daneben würde stehen: „CO²-Ausstoß: 0,0“. Darunter ein Auto und daneben: „CO²-Ausstoß: 1.5 Tonnen/ Jahr“ (Quelle). Und vielleicht ein Zusatz wie:
„Du zerstörst diesen Planeten, erzähl das deinen Kindern, Bitch!“
So in der Art stelle ich mir das vor. Die 1,5 Tonnen beziehen sich übrigens auf einen durchschnittlichen Autofahrer, der 6.500 Kilometer pro Jahr bei einem Verbrauch von 9 Litern pro Kilometer zurücklegt. Unter so einer Info kann man sich, jedenfalls geht es mir so, so ziemlich wenig vorstellen. Verständlicher wird das so:
„Um deine tägliche Fahrerei, lieber Autofahrer, wie auch immer du diese begründest, zu kompensieren, pflanze bitte 120 Bäume, und das bitte jedes Jahr!“
Um eine Tonne CO2 aufnehmen zu können, muss beispielsweise eine Buche etwa 80 Jahre wachsen, weil sie pro Jahr ca. 12,5 Kilo CO2 bindet. Und wenn du dir jetzt vorstellst, dass mittlerweile über eine Milliarde Autos auf der Welt herumfahren, dann bekommst du in etwa eine Vorstellung davon, was wir dieser Welt, uns selbst antun! Die Anzahl an Bäumen kannst du dir nämlich in deinen kühnsten Träumen nicht vorstellen!
Es geht doch, Freude!
Was mich dabei so schmerzt ist, dass ich weiß und mit eigenen Augen gesehen habe, dass es auch anders geht. In Kopenhagen münden unzählige Fahrradautobahnen, sogenannte Superstets, aus den Vorstädten bis ins Zentrum. Fast jeder benutzt das Fahrrad, egal ob Büroangestellter oder Hausfrau. Und ja, auch eine Kiste Sprudel transportiert man dort auf dem Fahrrad, auf Lastenrädern namens Bullit, die zudem noch super aussehen. Ich mache es kurz: Diese ganzen Ausreden sind alle für die Tonne! Ja, einige von uns sind tatsächlich aus ein Auto angewiesen, Polizei, Feuerwehr, Politiker, was weiß ich. Meines Erachtens ist das unterm Strich aber nur ein winziger Bruchteil und alle anderen könnten öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad verwenden. Weil sie das aber nicht machen, ist es dann so falsch anzunehmen, dass diese Leute mutwillig und wissentlich unseren Planeten zerstören? Und ja, es wird immer Argumente geben gegen den Staus Quo. Die Arbeitsplätze der Automobilindustrie und so, das könne man doch nicht machen, wirtschaftlicher Aufschwung und das alles. Darauf muss ich eigentlich nicht sagen, das wurde schon gesagt:
„Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“
Wie sagte doch Astro-Alex – da draußen ist auf lange, lange Sicht nichts. Wir haben nur diese eine, sensible Erde!
So what?
Jetzt steht er da, dieser Artikel, der doch ganz schön wütend geworden ist. Das passiert, wenn man so schreibt und wenn ich ganz ehrlich bin, dann denke ich manchmal wirklich so. Ich bin wütend, richtig wütend, weil es mich schmerzt, wie wir auf unsere Welt einprügeln. Nicht mit einer Hand, sondern mit Knüppeln und Schlägern. Ich sorge mich ganz einfach um diese Welt und DIE machen sie kaputt. Doch – ich werde weiter Fahrrad fahren, in Berlin. Auch wenn meine Luft-App sagt, dass die Luft mal wieder totale Kackwerte hat. Denn – ich werde nicht einknicken, nicht so sein wie DIE. Von nun an werde ich auf meinem Bike eine Maske tragen, zumindest auf dem Weg zur Arbeit und zurück – weil ich keine Lust mehr habe auf diesen Dreck, auf diese Menschen, die unser Klima zerstören! Und irgendwann werden wir die neue Masse sein. Die erste Fahrradautobahn von Teltow in die Stadt wird 2014 fertiggebaut, es folgen weitere. Und dann, davon träume ich, wird diese Stadt so sein wie Kopenhagen. Und wenn unsere Kinder groß sind und sie uns eines Tages fragen, was wir uns bei all dem Scheiß gedacht haben, sagen wir dann: „Hey, wir wussten es nicht besser, aber letztlich haben wir doch noch die Kurve gekriegt.“
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3 Kommentare
Kasia Oberdorf
Gefällt mir, dein Artikel, und ich musste oft schmunzeln, da ich beruflich bedingt (Außendienst) zu einer der größten Drecksschleudern überhaupt gehöre. In vielen Dingen hast du Recht; da ich erst ziemlich spät meinen Führerschein gemacht und auch bis dahin alles zu Fuß erledigt habe, weiß ich auch, dass das sehr gut geht. Es ist wahrscheinlich oft die Bequemlichkeit, die Menschen für kurze Wege ins Auto steigen lässt, aber ich bin da hoffnungsvoll, denn es ist jetzt bereits ein Umdenken zu sehen. Das Rad wird zum Trend, was auch gut ist. Ich halte den Artikel dennoch für kontraproduktiv, denn ich glaube, niemand lässt sich gerne ein schlechtes Gewissen machen. Doch ich verstehe auch, dass man sich auch mal auskotzten muss 😉 Beste Grüße
MaSan
Liebe Kasia,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ja, ich weiß, ich haue in dem Artikel schon ganz schön drauf… aber irgendwie hatte ich dazu einfach mal Lust (-; ich habe ja auch keine weiße Weste, aber als Fahrradfahrer in Berlin muss man manchmal einfach ausrasten… lieben Gruß und allzeit eine gute Fahrt
Lisa Weber
danke!