A Bite of China – eine Hommage an das Essen
„A Bite of China” oder „China auf der Zunge” ist eine der besten und schönsten Dokumentationen, die je über Nahrung produziert wurde.
Offiziell begrüßt man sich in China mit den Worten „Nǐ hǎo“, was „hallo“ oder „wie geht’s“ bedeutet. In Wirklichkeit aber fragt man „Chī fàn le ma?”, „heute schon gegessen?“ Das sagt viel aus über den Stellenwert, den Essen in China hat. Die Chinesen pflegen eine regelrechte Essenskultur, in der Nahrungsmittel viel mehr sind als nur Verpflegung. Essen ist zugleich auch Medizin, ein Statussymbol, eine Kunstform und Ausdruck der Gemeinschaft. Speisen haben Yin und Yang Eigenschaften, sind also kühlend oder wärmend und idealerweise immer ausgeglichen. So wie das Chi, die körpereigene Energie, die immer in Balance durch den Körper fließen soll. Gerichte haben Namen wie „Fisch ohne Flossen“ oder „Gold und Silber für das Haus“ und weißen so auf dessen Geschichte hin und auch den Anlass, bei dem es gegessen wird. Geburtstage werden mit langen Lebensnudeln gefeiert, was ein langes Leben verspricht. Auch Eier oder Lauch dürfen bei dem Fest nicht fehlen, weil deren Farben Wohlstand und Vitalität bedeuten. Geschäfte werden am Tisch gemacht und scheitern dort, und das Teilen vieler kleiner Tellerchen macht jede Mahlzeit zu einem Akt zu einem Gemeinschaftserlebnis, das eine Beziehung aufrecht erhält und festigt. „A Bite of China“ („China auf der Zunge“) ist eine Hommage an das Essen und für so manchen die schönste und beste Dokumentation über Nahrung, die je produziert wurde.
Ein voller Erfolg
Dass ausgerechnet der Staatssender CCTV, von dem man sonst eher gähnende Langweile bestehend aus unseriösen Nachrichten und Propagandatänzen gewohnt ist, eine solch aufwendig produzierte und gut gemachte Reportage aufs Parkett legt, damit hat wohl niemand gerechnet. Mit „A Bite of China“ hat man es geschafft, Chinesen und Ausländern gleichermaßen die Herstellung, Herkunft und Geschichte einheimischer Nahrungsmittel nahezubringen. Dass das Projekt ein voller Erfolg wurde, kommt dem Sender und seiner Aufgabe allerdings wieder entgegen, denn das, was man in den insgesamt vierzehn Folgen sieht, lässt einen voller Hochachtung vor Land und Leuten auf dem Sofa zurück.
Video: Die erste Staffel in englischer Sprache lässt sich komplett auf Youtube ansehen
https://www.youtube.com/watch?v=06gvRlOfUv0&list=PLYOTfstAG_IPjyEeT472GEJzafYmBiA3w
Filmdreh in über sechzig Landesteilen
Dreißig der besten Filmemacher waren über ein Jahr lang in über sechzig Landesteilen unterwegs, um die Herkunft der landestypischen Lebensmittel zu dokumentieren und den dort einheimischen Menschen beim Kochen regionaler Spezialitäten über die Schulter zu schauen. Das Resultat sind mittlerweile zwei Staffeln mit jeweils sieben Folgen a fünfzig Minuten, von denen jede ihr ganz eigenes Thema hat. Von der Ballonkamera bis zur Makro-Zeitrafferaufnahme von wachsendem Bambus reicht die Darstellungsweise, vom persönlichen Interview bis zur stillen Begleitung Einheimischer auf der Suche nach Zutaten in der Wildnis die Erzählart, von der Herstellung der Zutaten bis zur Zubereitung der chinesischen Lieblingsgerichte der Output ans Publikum. Kurz nach seiner Erscheinung im Jahre 2011 war „A Bite of China“ in aller Munde und errang schnell Popularität, weswegen man drei Jahre später mit einer zweiten Staffel nachlegte.
Einheimischen auf der Spur
Gedreht wurde von der südwestlichen, an Vietnam angrenzenden Provinz Yunnan, über den muslimisch geprägten Westen bis hinauf in den kalten, an Russland grenzenden Nordosten des Landes, von den abgelegensten Winkeln bis hin zu den Megacities wie Hongkong oder Shanghai. Jede einzelne Provinz, so lernt man in “A Bite of China”, hat ihre ganz eigene Esskultur und Methodik, Nahrungsmittel herzustellen und zuzubereiten. So kann man beispielsweise einer Frau folgen, die in Yunnan auf die Suche nach den berühmten Matsutake-Pilzen geht. Früh im Morgengrauen bricht sie mit einem großen Korb auf dem Rücken auf, um zuvor eingeprägte Stellen tief in den Wäldern aufzusuchen, die nur sie kennt. Ob sich die Mühe gelohnt hat, erfährt sie dann auf dem Markt, wo je nach Ertrag ihrer Konkurrenz der Preis festgelegt wird.
Außergewöhnlich und faszinierend
In der Provinz Hubei sind die Filmemacher der mystischen Lotuswurzel auf der Spur. Im Frühjahr machen sich Männer in kleinen Booten noch vor Sonnenaufgang auf, den Chiangjing hinunter zu fahren. Die Uferlandschaft gleicht zu dieser Jahreszeit einem Moor, und in langen Gummistiefeln waten die Lotusjäger durch den tiefen Matsch, um die langen Wurzeln in mühevoller Arbeit mit den Händen auszugraben. Lotus ist aus der chinesischen Küche nicht wegzudenken, schon gar nicht im Winter, wo eine Lotuswurzelsuppe auf fast jedem Esstisch zu finden ist. Wer schon immer mal wissen wollte, wie Tofu hergestellt wird, auch für den hat „A Bite of China“ eine Antwort. Die Herstellung von Tofu, einem Grundnahrungsmittel der Chinesen, ist außergewöhnlich und faszinierend mitanzusehen. Zunächst werden die Sojabohnen eingeweicht und gemahlen. Nach Kochen und Rühren sowie Beigabe von Meerwasser entsteht dann wie durch Zauberhand die legendäre feste Tofumasse.
Besinnung auf die Tradition
Und das war längst noch nicht alles. In Lanzhou schwingen Köche handgezogene Nudeln wie Zauberer vor den Tischen ihrer Gäste, in Shanghai verzehrt man betrunkene Krabben, und in Kingan stellt eine Familie den scharfen Kimchi her. Alles in allem ist „A Bite of China“ mehr Bildungsfernsehen als Kochsendung. Auch kontrastiert sie auf interessantem Wege das traditionelle Leben auf dem Land sowie das moderne Leben in der Stadt und vermittelt so die Message, dass es durchaus wert ist, sich auf die eigenen Wurzeln zu besinnen. Gerade im Hinblick auf in jüngerer Vergangenheit vorgekommene Lebensmittelskandale, wie zum Beispiel vergiftetes Milchpulver, leistet die Serie ihren Beitrag, den Menschen klarzumachen, was auf dem Spiel steht.
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