Senat will Gesetz um Tempelhofer Feld kippen – Angriff auf die Demokratie?
Über das Tempelhofer Feld wurde in den letzten Jahren unerbittlich gestritten. Leute, die sich für den Erhalt des Feldes in derzeitigem Zustand einsetzten, wurden von führenden Politikern aus dem Senat salopp als Wutbürger bezeichnet, als Verhinderer des Fortschritts, die blauäugig aus Eigeninteresse den allgegenwärtigen Wohnungsmangel ignorierten. Dem Senat wiederum wurde von der anderen Seite vorgeworfen, sich über die Jahrhundertchance Tempelhofer Feld nicht die geringsten Gedanken gemacht zu haben und aus blinder Profitgier die riesige Fläche an wenige privilegierte Wohlstandsbürger zu verpulvern.
Über diese Kontroverse wurde bereits in dem Artikel “Das-Tempelhofer Feld in Berlin – Sensation beim Volksentscheid” umfangreich berichtet. Mit dem Volksentscheid letzten Jahres wurde diese sowieso mit einer schallenden Ohrfeige an den Senat beendet, indem weit über 700.000 Bürger diesem ihr Misstrauen offenbarten. Jetzt, wo eine riesige Flüchtlingswelle über die Stadt hinweg rollt, möchte der Senat den Volksentscheid revidieren und steht kurz davor, eine Gesetzesänderung im Abgeordnetenhaus durchzubringen. Für die Initiative 100% Tempelhofer Feld, die dem Senat unterstellt, die Flüchtlinge nur vorzuschieben, um das Feld langfristig zu bebauen, ist dies ein Schlag ins Gesicht der Demokratie.
Aushebeln der Demokratie?
60.000 Flüchtlinge im Jahr 2015, noch mehr dieses Jahr. Die Lösung aller Probleme soll einmal mehr die Bebauung des Tempelhofer Feldes bringen, welche dummerweise per Volksentscheid im Jahr 2015 verboten wurde. Aber das ist dem Senat recht egal, der dabei ist, den Volksentscheid, also den Willen der Bürger dieser Stadt, einfach zu revidieren. Dem Abgeordnetenhaus hat man also ein “Gesetz zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen” vorgelegt, das einen Widerruf des enthaltenen Paragraphen Nummer Fünf im derzeitigen Tempelhof Gesetz vorsieht, der eben jenes Bebauungsverbot beschreibt. Am 14. Januar wird es ein Plenum im Abgeordnetenhaus geben und die Sache wird diesmal ohne störende, politisch engagierte Menschen, in den Augen Michael Müllers sogenannten Wutbürger, stattfinden. So leicht lässt sich, das sollte allen klar sein, ein Volkentscheid, ein direkter Akt der Demokratie, aushebeln.
Was wollen die?
Bereits Ende letzten Jahres legte der Senat seine Gesetzesänderung vor – eine Ergänzung des bestehenden Tempelhof Gesetzes – das eine bis 2019 befristete Bebauung der äußeren Ränder zur Unterbringung von Flüchtlingen vorsah. Man wolle schließlich keine Obdachlosen, und außerdem ändere man das Gesetz ja nicht grundsätzlich, hieß es da. Natürlich hagelte es Kritik von allen Seiten, nicht nur von der Initiative 100% Tempelhofer Feld, sondern auch aus den Reihen der Politik. Die Erschließung der Freiflächen sei viel zu teuer und aufwendig, ließen Stimmen aus SPD und CDU verlauten, wirtschaftlicher Nonesense und wie damals, als man das Feld den Baulöwen zum Fraß vorwerfen wollte, so einige Stimmen, mache man sich auch diesmal nicht die geringsten Gedanken um ein tragfähiges Konzept. Das nämlich kam, natürlich, von Bürgerinitiativen. Warum die äußeren Ränder bebauen, wenn es vor dem riesigen Hangar ein gigantisches befestigtes Rollfeld nebst unterirdischer Entwässerung gebe? Der wieder einmal deklassierte Senat, überrascht vom allseitigen Steinschlag, lenkte ein und sieht nun eine Konzentration von Bebauung auf dem Vorfeld und daneben vor.
Tempelhofer Feld. Ein Freiluftroman – von Thilo Bock
Was steckt hinter der Konzeptlosigkeit des Senats?
Scheinbar gab es, mal wieder, keine in solchen Fällen normale Standortanalyse. Alleine diese Tatsache legt nahe, dass es weniger um die Flüchtlinge als vielmehr um eine langfristige Bebauung geht. Warum bitte hat der Senat die Bebauung des Hangar-Vorfeldes nicht selbst vorgeschlagen, sondern dies erst auf massiven Druck in Erwägung gezogen? Warum tat man die Idee der Bürgerinitiativen zu dessen Bebauung zunächst leichtfertig aus Denkmalschutzbedenken ab, lenkte aber dann auf Druck aus dem Abgeordnetenhaus ein? Warum wurden für die Erschließung der Randbebauung keinerlei Kosten vorgelegt, die nach Meinung vieler Experten horrend wären, ja in die hunderte Millionen gingen und jegliche Bebauung aus wirtschaftlicher Sicht völlig unrentabel erscheinen lassen würde? Und überhaupt, stellt sich der Senat einfach vor, auf Dauer zigtausende Flüchtlinge in Massenunterkünften unterzubringen? Soll so Integration aussehen? Wieder einmal haben Bürgerinitiativen die besseren Ideen. Viele öffentliche Gebäude, darunter Büroräume, ständen leer und könnten genutzt werden, weit mehr als 1,5 Millionen m² könnte man so zur Verfügung stellen. Nicht irgendwo als Massenunterkünfte, sondern mitten unter den hier lebenden Menschen. Aber nein, ein Flüchtlingsghetto sei es, was der Senat da vorhabe, mehr nicht. All das sollte zu denken geben, dass es um ganz andere Dinge geht und nicht um die Flüchtlinge, nämlich um nichts anderes als um die langfristige Bebauung des Feldes. „Ich wünsche mir weniger Wut und mehr Mitgefühl“, lässt sich Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel zitieren. Es ist schon äußerst bedenklich, wenn ein Politiker eine solche Aussage über engagierte Bürger macht.
Was jetzt?
Der Senat hält an der Änderung des Gesetzes fest, möchte das Feld als Willkommenszentrum für Flüchtlinge zu verstehen wissen und sieht zunächst eine Schule, ein Fußballfeld, einen Jobcenter und eine Großküche auf dem Vorfeld vor. Am 14. Januar wird im Abgeordnetenhaus abgestimmt, und dann war es das, wenn es blöd läuft, mit dem Volksentscheid. Als „Angriff auf die Demokratie“ tituliert die Initiative Tempelhofer Feld das Vorgehen des Senats, als „Revanche für den verlorenen Volksentscheid“, als „Salamitaktik“. 740.000 Wählerstimmen würden für unsere Politiker keine Rolle spielen!
Quellen:
(https://www.sein.de/tempelhofer-feld-ausstieg-aus-der-buergerbeteiligung/),
Tempelhofer Feld – von Rolf Lautenschläger