Moganshan
Moganshan – ein ganz besonderer Ort vor Shanghai, der fast in Vergessenheit geriet
Die Sommer in Shanghai sind heiß, sehr heiß. Die hinzukommende hohe Luftfeuchtigkeit macht das Leben in dieser Zeit schier unerträglich. Ein auch nur kurzer Gang in den Straßen, die einem Backofen gleichen, hinterlässt ein klitschnasses Hemd. Shanghai ächzt regelrecht unter der Sonne. Das ist nicht neu, sondern war schon immer so. Auch schon Ende des neunzehnten Jahrhunderts litten westliche Missionare und Geschäftsleute unter der Hitze und suchten händeringend nach einem kühlen Feriendomizil. Dieses fanden Sie schließlich in einem Bambuswald auf einem Berg namens Moganshan, und in den 20er und 30er Jahren, zu Zeiten des Swinging Shanghais, erblühte das Leben der High Society auf jenem Berg. Prächtige Villen entstanden, Tennisplätze und ein großes Schwimmbad, an dem man sich bei Zigarre und Cognac Geschichten aus der großen weiten Welt erzählte. Berühmte Politiker, auch der große Mao Zedong, verweilten hier, aber auch berüchtigte Gangster jener Zeit. Doch dann überrannten die roten Garden das Land. Die Ausländer verschwanden, und mit ihnen die Musik und ihre Geschichten. Moganshan geriet in Vergessenheit und die prächtigen Villen verschwanden unter der hungrigen Vegetation. Jahrzehnte vergingen, und mit dem Aufschwung Shanghais zur Supermetropole kamen auch die Ausländer zurück. So kam es, dass ein Engländer Moganshan wiederentdeckte und dieses nun eine Renaissance erfährt. Was für die New Yorker die Hamptons sind, ist für die Shanghaier Moganshan.
Flucht aus Shanghai
Shanghai ist längst vergessen, liegt hinter mir. Die Woche sitzt tief in den Knochen, und immer noch ziehen Gesprächsfetzen der vielen Telefonate durch meinen Kopf, von links nach rechts und wieder zurück, bevor sie sich im Nichts verlieren. Je weiter der Zug von Shanghai in Richtung Hangzhou rollt, desto mehr ‘Nichts’ ist da und genau das ist der Grund für diesen Wochenendausflug. Shanghaier Expats (in Shanghai arbeitende Ausländer) können ein Lied davon singen, von 14 Stunden Tagen, von Arbeit, Arbeit und noch mehr Arbeit. Doch hierher zum Bahnhof von Hangzhou ist mir diese nicht gefolgt, und als mich der Minibus schließlich auch aus dieser Stadt hinaus bringt, schlägt mein Puls nur noch halb so schnell als sonst inmitten der von Büros gefüllten Wolkenkratzer Shanghais.
Auf den Straßen, es ist 21, 22 Uhr, scheint es, als seien nur wir allein unterwegs, und ich strecke meinen Arm hinaus in die angenehme Kühle der anbrechenden Nacht. Nach einer Stunde biegen wir in eine Landstraße ab, die bald in einen Wald mündet, und kurz darauf schrauben wir uns Serpentinen hinauf. Der Gesang der Zikaden dringt ins Auto ein und bildet zusammen mit dem laufenden Motor des Minibusses und dem Fahrtwind ein nur für mich bestimmtes Orchester. Als wir schließlich ankommen, ist es bereits stockdunkel und müde lege meinen Koffer neben das Bett, bevor ich nochmals die Balkontüre öffne und hinaustrete in die Nacht. Hier, hoch oben auf dem Berg Moganshan, schaue ich über einen riesigen Bambuswald hinab in die Ebene, dessen Ende sich in der Dunkelheit verliert. Als ich wieder hineingehe, lasse ich die Tür offen stehen, und es dauert nur einen Moment, bis mich die Zikaden in einen langen und tiefen Schlaf singen.
50 Dollar
Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts suchten Missionare Moganshan aus demselben Grund auf wie ich mehr als hundert Jahre später. Auch sie wollten dem Alltag und der Sommerhitze Shanghais entfliehen und verbrachten die warmen Monate zunächst am Fuß des Berges. Ihnen folgten Geschäftsleute, die den gesamten Kopf des Berges, bis dato unbewohnt, für sage und schreibe 50 US-Dollar erwarben. Peu à peu entstanden prächtige Villen, gebaut aus lokalem Stein, in denen es sich die internationale Gemeinde Shanghais bequem machte. Ein Schwimmbad wurde gebaut, Tennisplätze und sogar eine Kirche. Die kühle und saubere Luft lockte immer mehr Menschen an, und in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts verbrachten hunderte Shanghaier Expats hier die Sommermonate.
Doch nicht nur die Upper Class traf sich hier. Chiang Kai Shek verbrachte auf Moganshan seine Flitterwochen. Später traf er sich mit Zhou Enlai, um das Vorgehen gegen die Japaner zu besprechen. Selbst der große Mao kam einmal vorbei und hielt in einem Haus ein Nickerchen. Zwei berüchtigte Gangster jener Zeit, Big-Ear Du sowie Zhang Xiaolin, knüpften hier ihre Seilschaften. Letzterer soll hier sogar eine Geliebte an einen seiner Tiger verfüttert haben, die er im Garten hielt. Weitere dunkle Geschehnisse spielten sich hier ab. So wurde zum Beispiel der Manager R.J. Felgate auf mysteriöse Art und Weise ermordet.
Das Ende der Party
Doch dann, im Jahre 1949, beendeten die Kommunisten die Party abrupt. Die Ausländer mussten China verlassen, und so wurden auch die Anwesen auf dem Berg sich selbst überlassen. Die Armee entdeckte Moganshan als Ferienort und auch lokale Chinesen übernahmen viele der leerstehenden, von Bambus überwucherten Häuser.
Dass Chinesen ihre eigene Art haben, mit den alten stilvollen Gebäuden umzugehen, fällt einem noch heute ziemlich schnell auf. Alte Lampen wichen kalten Neonröhren, die Kirche nutzte man fortan als Werkstatt und Terrassen mit traumhaftem Ausblick wurden nur zu gerne als Abstellplatz missbraucht. Aus den großen Räumen machte an viele kleine und über Swimming Pools baute man Kochhäuser. Schöne Gärten dienen als Müllhalde und gemütliche Kamine, na die mauerte man auch gerne mal einfach zu. Nur mit den alten Tennisplätzen und dem großen Schwimmbad wusste man wohl nicht recht, was anzufangen, und so überließ man sie einfach sich selbst.
Ein Engländer namens Mark Kitto
So nahm die Zeit ihren Lauf, bis ca. fünfzig Jahre später der Engländer Mark Kitto mit einer fulminanten Lebensgeschichte auf der Bildfläche erschien. Kitto war unter anderem Begründer des Stadtmagazins ‘That’s Shanghai’, das noch heute aus der Stadt gar nicht wegzudenken ist. Sein wirtschaftlicher Erfolg machte ihn zur Zielscheibe der Regierung, die ihn irgendwann einfach enteignete. „Wenn du zu groß wirst, wirst du gefressen”, so ein chinesisches Sprichwort.
Eines Tages beim Aufschließen der Tür seines Büros merkte er, dass der Schlüssel nicht mehr passte, das war‘s dann, so schnell hat man es sich versaut in China. Grund genug, dem Land für immer den Rücken zu kehren. Doch das, obwohl kurz davor, tat er nicht. Als Mark Kitto mit seiner Frau Moganshan in tiefer Lebenskrise besuchte, wusste er nicht, dass er der erste Ausländer seit einem halben Jahrhundert war, der diesen Ort besuchte. Er war sofort verzaubert von der schönen Landschaft, den Bambuswäldern und Teeplantagen in der Umgebung, von der chinesischen Dörflichkeit in Verbindung mit einem Hauch von Ferienparadies, vor allem aber von den vielen prächtigen Häusern.
Er mietete eine der alten Villen und eröffnete die ‘Moganshan Lodge’, welche er mit schönen alten europäischen Möbeln einrichtete, wie sich das für so ein Haus gehört. Weitere Häuser kamen hinzu, alle eingerichtet wie zu alten Zeiten. So erfüllte sich Kitto seinen Traum und schloss schließlich Frieden mit China. Wer mehr über Kitto und dessen Leben in China erfahren möchte, dem empfiehlt sich sein Buch ‘China Cuckoo – How I lost a fortune and found a life in China’.
Renaissance
Mit dem Erscheinen Kittos erfuhr Moganshan eine regelrechte Wiedergeburt. In seiner Lodge nächtigten die ersten Shanghaier Expats übers Wochenende, und ihnen folgten weitere. Chinesische Nachbarn fragten den Engländer um Rat und richteten ihre Häuser stilgerecht ein. So erfreut sich der kleine Ort heute wieder einem regen Tourismus. Shanghaier wie Ausländer kommen wieder hierher, um der Sommerhitze und dem Stress der Großstadt zu entfliehen und neue Energie für den Alltag zu sammeln. Auch andere Unternehmer folgten Kittos Beispiel.
So eröffnete, etwas unterhalb der Moganshan Lodge inmitten des Bambuswaldes das Ökohotel ‘Naked Retreats’. Alte chinesische Farmhäuser wurden liebevoll eingerichtet, und in einem eigenen großen Gemüsegarten kann man sich hier einquartieren und komplett selbst versorgen. Von der einzigen Straße des Ortes, der Yin Shan Jie , zweigen kleine von Steinen gerahmte Wege ab in den dichten Bambuswald. Dort winden sie sich hinab in die Täler und steil den Hang hinauf. Ich gehe hinauf, zunächst durch verwinkelte kleine Gässchen. Dann, ganz unverhofft, stehe ich vor einem großen Swimmingpool. Das Wasser ist ganz trübe, die Fliesen am Beckenrand sind vergilbt und gesprungen durch die Witterung. Aus den Fugen schaut Unkraut hervor, wohl schon seit langer, langer Zeit. Zum Schwimmen wird der Pool wohl nicht mehr genutzt, sage ich mir.
Doch mit ein wenig Fantasie kann man sie sehen, die Shanghaier High Society. Die Frauen, wie sie da liegen in ihren Liegestühlen, mit Long Island Ice Teas in der Hand. Und die Männer, die nach einer Partie Tennis die Füße im kühlen Wasser baumeln lassen. Ich gehe weiter den Berg hinauf, folge einem der kleinen Wege, und bald bin ich mitten im Wald. Später, hoch oben am Berg, durchquere ich Teeplantagen und genieße den weiten Blick ins Tal. Ich gehe einen weiten Bogen um den Gipfel herum, und aus dem gut erkennbaren Weg ist ein überwucherter Trampelpfad geworden.
Hier und da komme ich an ganz allein stehenden, verfallenen Häusern vorbei. Auf einem ist die Inschrift “Haus Bergfriede, Laurenz” zu lesen. Wer wohl in dem Haus gelebt hat, ein Deutscher Geschäftsmann? Ein Abenteurer, ein Lebemann? Was mag er gemacht haben in Shanghai. Ob er Familie hatte? Wir werden es wohl nie erfahren. Als sich die Dämmerung über die Wälder legt, gehe ich zurück, denn ich habe Abendessen bestellt in Mark Kittos Lodge, das man in Voraus ordern muss. Der Weg in die nächste Stadt ist weit und Lebensmittel werden je nach Bedarf transportiert. Später mache ich es mir in einem schweren, ledernen Sessel gemütlich, nehme mir ein Buch aus dem Regal, das irgendein Reisender hier zurückgelassen hat, während ein hölzerner Propeller an der Decke summt. Die Nacht legt sich über den Berg, in der Gesang der Zikaden dringt bereits leise durch die offenen Fenster hinein. Shanghai ist weit, weit weg, es existiert nicht mehr.
Anreise
Von Shanghai fahren regelmäßig Züge nach Hangzhou. Die Fahrt dauert etwa eineinhalb Stunden. Von dort aus wiederum gibt es zwei Möglichkeiten. Von der Busstation Nord fahren etwa jede Stunde Busse nach Wukang, auch Dequing genannt. Von dort aus wiederum gelangt man per Taxi oder Minibus nach Moganshan. Komfortabler und schneller ist es, natürlich auch teurer, ein Taxi zur Wukang Busstation zu nehmen, und von dort aus wiederum ein lokales Taxi zum Berg. Es gibt auch direkte Busverbindungen von der alten Nordbusstation in Shanghai direkt nach Wukang. Eine ausführlichere Beschreibung verschiedenster Anreisemöglichkeiten sowie Preisen bietet mal wieder Mr. Kitto. Einfach mal auf seiner Website vorbei schauen!
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2 Kommentare
Ulrike
6 Mal Werbung für Amazon in einem Artikel finde ich ziemlich heftig. Ansonsten ist der Artikel ganz interessant.
MaSan
Gut zu wissen. Bin wie gesagt noch neu im Metier und muss mich da noch anpassen. Werde die Werbung runterschrauben. Vielen Dank für den Hinweis, Martin