Ai Weiwei: Evidence – Eine Ausstellung
Auf Tuchfühlung mit dem wohl bekanntesten chinesischen Künstler
‘Evidence’ heißt die Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau, ‘Beweis’ also. Und im Namen ist schon angedeutet, worum es Ai Weiwei geht. Beim Betreten des großen Hauptsaales steht man unmittelbar vor zig tausenden traditionellen chinesischen Holzhockern. Sie stehen nicht einfach irgendwie da, sondern dicht an dicht, in geraden Reihen. Sie bedecken den kompletten Fußboden dieses riesigen Raumes und bilden eine zusammenhängende, geschlossen wirkende Fläche. Wie sie dastehen, in Reih und Glied – man weiß sogleich, worauf der Künstler anspielen möchte. Beim zweiten Blick stellt man fest, dass jeder einzelne Hocker, obwohl so gleich wirkend, sich doch von allen anderen unterscheidet. Sie variieren leicht in der der Höhe, in der Farbe, in der Konstruktion. Die Distanzierung von der eigenen Vergangenheit, das Entfernen von lange geltenden Werten, auch das steckt in der Arbeit. Fast archaisch wirken die Hocker mit ihren drei Holzbeinen, in simpelster Form ohne einen einzigen Nagel zusammengesteckt. Doch wird man in den meisten modernen chinesischen Haushalten diesen für viele Epochen so typischen Hocker vergeblich suchen. Weil man moderner sein will, ja westlich vielleicht. Willkommen in der Welt von Ai Weiwei.
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81 Tage Haft
Schon von außen wirkt die Holzbox winzig, im Inneren dann aber sogar noch kleiner. Das Innere – ein exakter Nachbau der Gefängniszelle, in der der Regierungskritiker Ai Weiwei 81 Tage lang in Haft verbrachte und erst auf großen internationalen Druck hin freigelassen wurde. Auf der Tür ist eine vierstellige Nummer angebracht – es gab, gibt also wohl noch viel mehr Zellen dieser Art. Alles ist mit Styropor überzogen, die Tapete, der Schreibtisch, das Bett. Mehr Einrichtung gibt es nicht. Hier drin war er nie allein, wurde im Schichtdienst überwacht, 24 Stunden lang. Wenn er schlief, stand ein Wachmann daneben, schweigend, emotionslos. Man sieht es diesem Raum an, warum er so gebaut ist. Ein Raum wie dieser wird gebaut, um jemanden in den Wahnsinn zu treiben.
„Hier gilt kein Recht und Gesetz“, sagte man ihm seinen Worten nach und wer weiß, wie viele Menschen ihr Dasein in Räumen wie diesem fristen. Die nicht das Glück haben, so bekannt zu sein wie er, für den man sich so stark eingesetzt hat. Doch warum wurde er inhaftiert? 2011 wurde er zunächst ohne Angabe von Gründen festgenommen. Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt, hieß es später. Nach seiner Freilassung wurde seine Firma FAKE Design der Steuerhinterziehung beschuldigt. Umgerechnet fast 2 Millionen Euro sollte er nachzahlen, eine irrwitzige Summe für chinesische Verhältnisse, die beliebig wirkt. Und auch hier hörte es nicht auf. Sein Pass wurde ihm entzogen, Reisen ins Ausland bleiben ihm bis heute verwehrt. Nun überwacht man ihn in seinem Privathaus, rund um die Uhr, folgt ihm und seinen Freunden.
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Wer ist Ai Weiwei
Man sieht also, dass dies keine Kunstausstellung im klassischen Sinne ist. Für viele ist der Mann vielmehr politischer Aktivist, Provokateur statt Künstler. Nur wenige wagen es, so wie er, die Stimme so lautstark gegen China zu erheben, dass seiner Meinung nach einem Polizeistaat gleicht, einem Land ohne Menschenrechte. In den 50er Jahren in Peking als Sohn des bekannten Dichters und Malers Ai Qing geboren, wird die Familie wegen Regierungskritik des Vaters für viele Jahre in die Nordwestchinesische Provinz Xinjiang verbannt. Später, nachdem er an der Pekinger Filmakademie studiert, zieht es ihn nach New York, wo er sich u.a. der Konzeptkunst widmet. Erst in den neunziger Jahren kehrt er nach China, nach Peking zurück. Seitdem eckt er ständig an, weil er auf Missstände im Land aufmerksam macht, auf Umweltzerstörung, auf ein ungerechtes Bildungssystem, auf die Bevormundung weniger Reicher, die immer reicher werden.
Das Erdbeben von Sichuan
So macht er auch auf das große Erdbeben von Sichuan im Jahre 2008 aufmerksam, auch dieses Thema der Ausstellung. Moniereisen erfüllen, zu Kurven gebogen, den Raum, werfen ihre gekrümmten Schatten auf den Boden. Weit über 60.000 Menschen starben bei dem Erdbeben, hunderttausende wurden obdachlos. Während die Schulen einstürzten wie Kartenhäuser, waren Regierungs- und Wohngebäude noch weitestgehend intakt. Unter den Todesopfern sind deshalb auffällig viele Kinder. Moniereisen verleihen dem Beton eines Gebäudes die Standsicherheit, und zu wenig hat man davon in den Schulen verbaut, den sogenannten Tofuschulen – weil man billig gebaut hat. Obwohl diese Tatsache jedem bekannt war, wurden Journalisten bei ihrer Berichterstattung behindert, Angehörige von Opfern erpresst, die darüber sprechen wollten. Die Moniereisen im Martin Gropius-Bau weisen auf diese Tragödie hin, die vielen tausend Kindern das Leben gekostet hat. Wo man diese hingebracht hat, weiß niemand. Man weiß auch nicht, wie viele es letztlich waren. Angehörige können nicht trauern. Ai Weiwei aber machte sich an die Recherche, fragte nach den Namen der toten Kinder. Im Bildschirm eines Laptops nahe der Modell-Gefängniszelle im Martin-Gropius Bau kann man die Liste sehen, herablaufende Namen, endlos. Der Künstler übernimmt hier die Rolle der Berichterstattung, die es seiner Meinung nach in diesem Land nicht gibt.
Ein erhobener Zeigefinger
Die nebeneinander gehängten Bilder zeigen Motive, die wir alle kennen. Die Sagrada Familia in Barcelona, den deutschen Reichstag, die verbotene Stadt in Peking. Im Vordergrund, und das überrascht bei Ai Weiwei nicht mehr, sein erhobener Mittelfinger. Es geht ihm um das Verständnis von Menschen zu Autoritäten, seien diese nun kultureller oder politischer Beschaffenheit. Während die meisten Arbeiten politisch ausgerichtet sind – so sieht man z.B. auch ein Modell der Senkaku-Inseln, um die sich China und Japan derzeit heftig streiten – beschäftigen sich andere Werke eher mit dem gesellschaftlichen Wandel Chinas. Ein Raum mit alten Möbelstücken, alle sind durchweg antik. Doch die Patina, die, Schicht, die sie einst überzog, wurde abgeschliffen. So sehen die Stücke brandneu aus. Was definiert also unser Verständnis vom Alten, vom Wertvollen? Ist es nur die äußere Hülle, die Patina. Interessiert das Darunter? Ähnlich verhält es sich auch mit den mit Autolack überzogenen Vasen aus der Ming Dynastie . Der Lack, sinnbildlich stehend für das Auto, dem Verständnis für Fortschritt vieler Chinesen, überzieht die alten Vasen, Wertobjekt alter Tage. Während der Lack das Alte entfremdet, schützt er es aber auch gleichzeitig. Ob es sich bei der Ausstellung nun um eine Kunstausstellung, den persönlichen Leidensweg Ai Weiweis oder eher um Gesellschaftskritik handelt? Wohl alles zusammen, oder es mit den Worten des Künstlers im Interview mit der Süddeutschen Zeitung zu sagen: „Wenn Kunst nichts mit dem Leben zu tun hat, dann brauchen wir keine Kunst.”