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Das Tempelhofer Feld in Berlin- Sensation beim Volksentscheid

Das ehemalige Berliner Flughafengelände wird nicht bebaut – Dank der Initiative 100% Tempelhofer Feld.

Für möglich gehalten hat dies wohl wirklich niemand. Bestimmt nicht Senator Michael Müller, und Klaus Wowereit ganz gewiss auch nicht. Sicher waren sich diese beiden Männer, dass die Vernunft siegen wird. Die Stimmen der „Wutbürger“ (Zitat), so Herr Müller, könne man sowieso nicht mehr ernst nehmen. Doch am Abend des 25. Mai haben sich über 60% der Berliner Wahlgänger für die Initiative 100% Tempelhofer Feld ausgesprochen und damit gegen die Pläne des Senats, das Tempelhofer Feld teilweise zu bebauen. Ein überdeutliches Ergebnis, das ein Zeichen setzt.

Beatles oder Rolling Stones
Dass die Initiative im Januar tatsächlich mehr als die nötigen 174.000 Stimmen eingereicht hat und somit des Volksbegehren erzwang, schon damit hat niemand gerechnet. Weit über 700.000 Stimmen waren es nun beim Volksentscheid. Damit hat sich die Mehrheit der Berliner aber nicht nur für den Erhalt des Feldes im derzeitigen Zustand, sondern auch gegen den Bau von 4.700 dringend benötigter Wohnungen entschieden, die den völlig überhitzten Immobilienmarkt entlasten sollten. Deswegen muss sich die Initiative und deren Wähler als eine Horde Blockierer, Hipster und Ökofanatiker beschimpfen lassen. Die senatsgetreuen Wähler dagegen gelten als ewige Jasager, als Freunde der Gentrifizierer, als aus der Hand Fresser, als Ausverkäufer der Stadt. Als Menschen, die aus Kreuzberg einen neuen Prenzelberg machen wollen. Sagen wir es mal so, Berlin streitet sich, am Kaffeetisch und am Arbeitsplatz. Bayern oder Dortmund, die Rolling Stones oder die Beatles, für oder gegen das Feld. Man muss sich entscheiden.

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Bild: MaSan/Martin Seibel

Warum scheiterte der Senat?
Die Initiative und deren Anhänger als Blockierer und Nörgler zu beschimpfen, ist aber vollkommen falsch. Nicht jeder, der gegen den Senat gestimmt hat, ist gegen den Bau neuer Wohnungen. Viele nämlich haben simpel ein Problem damit, was der Senat einerseits da in den Hinterzimmern austüftelte und als alternativlose Alleinlösung präsentierte. Andererseits war es aber auch die Art und Weise, wie man über den Wunsch der Mitbeteiligung der Bürger stoisch hinweg hörte und überhöht moralisierend, teilweise besserwisserisch argumentierte. Da muss man sich schon ein klein wenig Arroganz vorwerfen lassen. Aber was war denn genau so schlimm am Masterplan des Senats?

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Bild: MaSan/Martin Seibel

Der Masterplan
4.700 Wohnungen sollten also her und sich ringförmig um den Rand des Feldes schmiegen. Jede Menge Sozialwohnungen sollten sich darunter befinden und für eine gesunde Durchmischung verschiedener Schichten sorgen. Eine Zentral-und Landesbibliothek sollte den gewissen akademischen Touch hineinbringen. Und Gewerbe war geplant, jede Menge Gewerbe. Das innere Feld sollte frei bleiben und weiterhin als gemeinnützige Grünzone fungieren. Was erst mal gut klingt, entpuppt sich beim näheren Hinsehen als trügerisch.

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Bild: MaSan/Martin Seibel

Tempelhofer Feld. Ein Freiluftroman – von Thilo Bock

Was die Initiative 100% Tempelhofer Feld dagegen hatte
Der Senat erwecke, so auf der Website der Initiative zu lesen, lediglich den Eindruck, für soziale Durchmischung zu sorgen. In Wahrheit seien weniger als 10%, und das auch nur zeitlich begrenzt, als bezuschusster und bezahlbarer Wohnraum mit unter zehn Euro Kaltmiete vorgesehen. Der große Rest, etwa 3.800 Wohnungen, würde zu Marktpreisen unter den Hammer kommen. Dies können sich zwar Zugezogene aus Baden Würtemberg, München oder sonst woher leisten, nicht aber die Berliner. Ein Luxusviertel solle dies werden, ein Nobelkiez mit Eames Chairs geschmückten Balkonen. Etwa die Hälfte der Planung sehe Gewerbe vor, trotz fast zwei Millionen m² leer stehender Gewerbeflächen in Berlin. Wo bitteschön sei hier ein Sinn zu erkennen? Zudem sei eine sündhaft teure Zentral-und Landesbibliothek, die so mancher als vielfach teurer einschätzte als geplant, der krönende Abschluss blanker Verschwendungssucht gewesen. Und überhaupt, wenn es hier um Wohnraummangel geht, warum dann der Bau einer riesigen Bibliothek?

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Bild: MaSan/Martin Seibel

Welchen Fehler hat man gemacht?
Der schwerwiegendste Fehler der verantwortlichen Politiker, und leider kann man dies tatsächlich auf einige wenige Personen beziehen, war es wohl, den Bürgern eisern deren Wunsch zu verweigern, an der Gestaltung ihrer Stadt, in diesem Fall des Feldes, mitzuwirken. Der angewandte bevormundend wirkende Unterton war ein Verhalten gegen den Geist dieser Zeit. Auch hat man unterschätzt, wie gern die Berliner ihr Tempelhofer Feld haben. Zehn Mal mehr Besucher als der Tiergarten zieht es an, über zwei Millionen jährlich. Genug Parks gebe es in Berlin, so der Senat. Das stimmt. Doch es ist eben nicht einfach ein Park wie jeder andere, sondern ein Feld. Und zwar ein Feld, das jeden in seinen Bann zieht, der es zum ersten Mal betritt. Der Senat hat seinen Masterplan als alternativlos auf den Tisch geworfen. Entweder man baue diese Wohnungen, oder Berlin sei dem Untergang geweiht, für immer als Provinzstadt verdammt. Das klingt in etwa so, als würden 4.700 Wohnungen Berlin für immer und ewig von allen Problemen befreien.

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Bild: MaSan/Martin Seibel

Tempelhofer Feld – von Rolf Lautenschläger

Wer ist hier der Boss?
Das stimmt so natürlich nicht, denn laut der Initiative gibt es in der Stadt freie Flächen zum Bau von mehr als 200.000 Wohnungen, in der Theorie. Ein fadenscheiniges Argument des Senats also? Für die Initiative lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein, der über das Versagen der Politiker hinwegtäuschen soll. Darüber, dass man den Ausverkauf der Stadt weiter betreibe, und die Macht längst in die Hand von Baulobbyisten gelegt hat. Da ist natürlich etwas dran, schließlich wurden bereits hunderttausende Sozialwohnungen verkauft. Die neuen Wohnungen würden durchaus kurzfristig entlastend wirken, doch in Bezug auf den Berlin Hype und den damit einhergehenden ungebrochenen Zuzug helfe auch der Bau einiger tausend Wohnungen nicht. Da müssen andere Konzepte her, größere, keine kurzfristigen Lösungen. Sozialwohnungen also: An anderer Stelle, z.B. am Mauerpark, kann man gerade beobachten, wie eine andere liebgewonnene Grünfläche, der Mauerpark, in die Hände eines prominenten Investors gerät. Ein paar hundert Wohnungen wird man dort wohl bauen, mit Mieten von 11 bis 12 Euro. Ade Kulturzone Mauerpark, und zwar für immer. Angeblich, behauptet so manche Zeitung, habe man besagten Investor sogar Garantien in Millionenhöhe zugesagt, falls das Vorhaben nicht zustande kommen wird. Sollte dies tatsächlich stimmen, sagt das ziemlich viel aus darüber, wer hier der Boss ist. Auch an der East Side Galerie möchte man Hand angelegen und so, wie es aussieht, schmiegt sich bald ein über 60 Meter hohes Luxushotelchen ins Ensemble ein. Stimmt es also, dass sich Unternehmer mit Hilfe der Politik auf unsere Kosten bereichern? Geht es beim Tempelhofer Feld mehr darum, die Taschen einiger Weniger zu füllen als um die Bekämpfung der Wohnungsnot? Oppositionsparteien, darunter die Grünen, stellten sich hinter die Initiative, weil es keine Garantien gab, sozialen Wohnraum zu schaffen, und auch eine Beteiligung der öffentlichen Hand nicht vorgesehen war.

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Bild: MaSan/Martin Seibel

Was passiert nun?
Mit dem Volksentscheid ist zunächst einmal verhindert, dass man vorschnell einen Fehler begehen könnte, der, wie im Falle des Mauerparks ersichtlich, kurzfristig einige wenige Menschen bereichert, einen geliebten Stadtraum aber für immer zerstört. Mit dem Votum ist erreicht, dass man sich nicht mehr so einfach darüber hinwegsetzen darf, was die Bürger wollen, dass man diese mitbeteiligen muss. Es wurde, wenn man so will, ein Zeichen gegen Bevormundung und für direkte Demokratieausübung gesetzt. Ein Zeichen dafür, dass einige wenige nicht einfach bestimmen können, was der gesamte Rest de Facto nicht will. Doch vor allem ist es ein Zeichen dafür, dass man politisch etwas erreichen kann, auch gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner. Für die Politiker ist es ein Denkzettel, dass man nicht mehr regieren kann, wenn man per se keine Lust hat, den Bürgern zuzuhören. Was mit dem Feld in Zukunft passiert, wer vermag das zu sagen? Es ist erst einmal Zeit gewonnen, um sich neu in vor allem in Ruhe Gedanken zu machen über dessen Zukunft. Ideen für die Bibliothek gibt es schon. Warum diese nicht im alten, weltberühmten Flughafengebäude unterbringen und damit dem Bau, der zu zwei Dritteln leer steht, einen neuen Nutzen geben? Damit wäre auch mehr Platz am Rand des Feldes. Draußen auf den ehemaligen Landebahnen jedenfalls drehen weiter Jogger ihre Bahnen, trainiert die amerikanische Baseballmannschaft, spielen die Briten Rugby, lassen sich die Kyter über die Piste ziehen. Dort brüten die Feldlerchen, irgendwo übt da einer mit seiner Trompete, und da ist tatsächlich wieder die schottische Dudelsacktruppe. Na dann, Auf Tempelhof, und auf das uns was Besseres einfällt. Und zwar gemeinsam!

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