T. Coraghessan Boyle: Wenn das Schlachten vorbei ist (Buchrezension)
T.C. Boyle zeigt uns, dass jeder auch noch so kleine Eingriff in die Natur dramatische und unvorhergesehene Konsequenzen haben kann.
Dass der Mensch immer denkt, Herr der Lage zu sein und alles unter Kontrolle zu haben, ist ein einziger Trugschluss. Wo sich unsere Spezies auch einmischt, es wird alles immer noch schlimmer als vorher. When the killing’s done ist ein untypisches, vergleichsweise ruhiges und langatmiges Werk von T.C. Boyle. Er nimmt sich den Raum, den er braucht, um zwei Menschen zu beschreiben, die sich beide mit Leib und Seele für diesen Planeten einsetzen und trotzdem verhasste Gegenspieler sind.
“They want. All of them. They want things, space, resources, attention to their immediate needs, but they’re getting none of it – or not enough. Never enough”
Zwei starke Charaktere
Beverly hält sich an einer Kühltruhe fest. Gerne möchte Sie diese öffnen, um an den Inhalt zu kommen. Aber das geht nicht, denn sie treibt auf offenem Meer irgendwo zwischen Santa Barbara und den Channel Islands. Von ihren Mitfahrern fehlt seit dem Schiffbruch jede Spur und alles, was sie am Leben hält, ist die in der Kühltruhe enthaltene Luft. Sie schafft es an Land. Doch nicht ans Festland, sondern nach Anacapa, dem kleinsten Bestandteil einer Inselgruppe, wo ihr eine verlassene Hütte Schutz bietet. Erstaunt stellt Sie fest, dass Sie sich den Unterschlupf teilen muss, mit Ratten. Wie, fragt Sie sich, kommen diese auf die Insel? Dann wird sie gerettet. So führt Boyle den Leser in die Thematik ein, die Channel Islands und dessen Bewohner. Oder besser gesagt, die nicht von der Natur vorgesehenen Bewohner, wie die vorgefundenen Ratten. Diese nämlich machen Beverlys’ Enkelin zu schaffen, Alma Boyd Takesue, Biologin und treibende Kraft des National Park Service.
“Fuck them, that’s what he’s thinking. Fuck the world. Fuck them all.”
Sie will das Gute für diesen überbevölkerten, ächzenden Planeten. Und weil Sie die ganze Welt nicht retten kann, kämpft Alma für die Wiederherstellung des natürlichen Gleichgewichts der Channel Islands. Die Ratten haben es auf die Nester der Seevögel abgesehen und müssen weg, mit allen Mitteln, durch Gift. Nur durch die Vernichtung der einen Spezies lässt sich die andere erhalten. Mit Alma schafft er einen Charakter mit messerscharfen Ansichten: “They want. All of them. They want things, space, resources, attention to their immediate needs, but they’re getting none of it – or not enough. Never enough”, denkt sie sich, als sie in einem Stau festsitzend auf die endlose Schlange der Autos blickt. Auch mit dem Hundebesitzer beim Strandspaziergang wird abgerechnet: “…dogshit wrapped in neat little plastic bags. Does that drive her crazy? Yes, it does. That people should take something natural, waste, feces, the end product of an animal process, and seal it in plastic for future archaeologists to unearth from landfill in a thousand years is pure madness. This world. This skewed and doomed world.”
Fuck them all
Ihr unerbittlicher Gegenspieler ist Dave LaJoy, Unternehmer, Veganer und militanter Umweltschützer. “Meat is murder.“ Für ihn sind Almas Intentionen nichts anderes als Mord. Denn jedes Lebewesen, auch eine Ratte, hat ein Anrecht auf Leben. Er lässt nichts unversucht, die Aktionen des National Park Service zu sabotieren. “Fuck them, that’s what he’s thinking. Fuck the world. Fuck them all.” Mit Alma nimmt der Leser den Blick der Wissenschaftlerin ein. LaJoy’s Handeln ist intuitiv, menschlich, aber radikal und immer an der Schwelle des Illegalen. Aber wer handelt richtig? Diese Frage wird in den Raum gestellt und der Leser gerät in Versuchung, seine Sympathie mal der einen, mal der anderen Seite zuzuwenden. Die Geschichte verlagert sich bald nach Santa Cruz, der größten Insel. Hier bedrohen Goldadler die heimischen Füchse und Schweine das natürliche Wachstum der Bäume. Dave LaJoys Reaktionen auf die Taten des National Park Service werden immer radikaler. Boyle führt uns den Irrglauben des Menschen vor Augen, jeden Eingriff in das Ökosystem unter Kontrolle zu haben, und wie falsch wir damit mal wieder liegen.
Buchtipp: A Friend Of The Earth
A friend of the earth ist ein weiteres Werk von Boyle, das sich mit dem Menschen und seinem Wirken auf die Natur befasst. Die Handlung springt von der Zukunft, in der es der Mensch bereits geschafft hat, wirklich alles kaputt zu machen, zum hier und jetzt, wo wir gerade auf dem Weg dahin sind. Nur dieser Autor schafft es, dass man sich bei so einem Thema permanent halb totlachen muss. Besser und schärfer geht es nicht.
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