Kinderarbeit in Bolivien verbieten?
In Bolivien kämpfen Kinder um ihr Recht, arbeiten zu dürfen.
Im Dezember 2012 gehen in der bolivianischen Hauptstadt La Paz Polizisten gewaltsam gegen Kinder vor, ein absurdes Bild. Der Grund – Sie wehren sich gegen ein neues Gesetz, das Kinderarbeit unter 14 Jahren verbieten soll. Verwundert fragt man sich, warum sich Kinder und Jugendliche in dem armen Land nicht freuen über eine solche, sie schützende Gesetzesänderung. Doch nein! Sie kämpfen für ihr Recht, für das Recht auf Arbeit.
Unangenehme Tatsachen
Um zu verstehen, warum das so ist, muss man sich zunächst einigen unangenehmen Fakten bewusst werden. Wir Europäer gehören einer klitzekleinen, sehr reichen Minderheit an. Einer Minderheit von etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung, die ca. 85 Prozent des weltweiten Vermögens besitzt, während 80 Prozent der Menschen auf der Welt mit weniger als zehn Dollar pro Tag leben müssen. In Anbetracht dieser Tatsachen wundert es also nicht, dass etwa 170 Millionen Kinder weltweit arbeiten müssen.
Bolivien ist das ärmste Land Südamerikas. Fast eine Million Kinder gehen hier einer Arbeit nach, verdienen sich als Schuhputzer, als Straßenkünstler oder Obstverkäufer. Zum Spaß machen Sie das nicht. Vielmehr ist dies die einzige Möglichkeit, ihre Schulbildung zu finanzieren oder ihre völlig verarmten Familien, denen es oft schon am Notwendigsten mangelt, finanziell zu unterstützen.
Internationaler Druck
Evo Morales, der Präsident Boliviens, hat Kinderarbeit am eigenen Leib erfahren. Unter ärmlichsten Verhältnissen geboren, arbeitete er u.a. auf Zuckerrohrplantagen und als Straßenmusiker. Er ist gegen ein Verbot von Kinderarbeit, aber auch dagegen, dass man Kinder ausbeutet. Das sieht nicht nur er so. So ist Bolivien das einzige Land, das per Verfassung keine Kinderarbeit verbietet. Im Gegenteil – Die UNATSBO (Union der arbeitenden Kinder und Jugendlichen Boliviens) hat sogar mit Hilfe von terre des hommes und save the children einen Gesetzesentwurf vorgelegt (der erste Gesetzesentwurf von Kindern überhaupt auf der Welt), der ihre Rechte in der Arbeitswelt stärkt, die Tatsache des arbeiten Müssens selbst also noch nicht einmal in Frage stellt. Internationalen Organisationen wie der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) oder der UNESCO ist das ein Dorn im Auge. Sie pumpen viel Geld in das Land, und dieser Geldfluss ist an Bedingungen geknüpft. So verlangt die ILO, dass Kinder unter 14 Jahren nicht arbeiten dürfen und die Arbeit von Jugendlichen an viele Beschränkungen geknüpft sein muss.
Das Dilemma
Man muss sich nun darüber im Klaren sein, dass Boliviens Kinder, ob Kinderarbeit nun verboten ist oder nicht, trotzdem arbeiten gehen. Eine illegale Ausübung ihrer Tätigkeit bringt nun eine ganze Reihe Nachteile mit sich. Kinder könnten geschlagen, um ihr Geld geprellt und in allerlei weiterer Form diskriminiert werden, und es gäbe keine Verträge, keine Unfallversicherung, keinen Schutz vor den Gesetzen der Straße. Deshalb kämpfen Sie für bessere Arbeitsbedingungen, für Tarifbestimmungen, für Sicherheit, und formieren sich in Gewerkschaften.
Was nun?
Natürlich verwundert uns das, uns 10 Prozent der Weltbevölkerung in unsagbarem Reichtum. Doch unser Verständnis einer würdevollen Kindheit kann nicht auf ein Land wie Bolivien übertragen werden. Viele Kinder in diesem Land stehen schon unter zehn Jahren auf eigenen Beinen, gehen morgens zur Schule, mittags arbeiten und helfen abends im Haushalt. Da sie billiger sind als Erwachsene, ist ihre Arbeitskraft stark nachgefragt. Unterwirft sich Bolivien nun dem internationalen Willen, schwächt sie gleichzeitig die Rechte der Kinder. Wird Kinderarbeit aber erlaubt, sind schmerzliche Sanktionen zu befürchten. Doch um Kinderarbeit zu verhindern, bringt es nichts, diese einfach zu verbieten. Vielmehr gilt es, andere Stellschrauben zu bewegen, jene Anreize zu beseitigen, die Kinder überhaupt erst zum Arbeiten zwingen. Die Bestimmungen der ILO sind gut gemeint. Niemand will, dass Kinder arbeiten müssen. Doch allein mit gutem Willen ist niemandem geholfen.
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