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Rebiya Kadeer – Die Himmelsstürmerin (Buchrezension)

Chinas Staatsfeindin Nr. 1 erzählt aus ihrem Leben. Die Geschichte einer Kämpferin

Von Xinjiang, früher Ostturkestan, weiß der Westen so gut wie nichts. Dabei wird die uigurische Minderheit auf ähnliche Manier von China unter Kontrolle wie Tibet. Lange setzt sich das Land der Muslime gegen seine Besatzer zur Wehr. Nach den Chinesen Mitte des 19.Jahrhunderts fallen die Mandschuren ein, später, 1911, die chinesischen Nationalisten. Doch die Uiguren wehren sich vehement gegen die Invasoren und bereits Rebiya Kadeers Großeltern beteiligen sich am bewaffneten Widerstand. Später, nach Abzug der Sowjetunion in der Folge des zweiten Weltkrieges, greift ihr Vater zu den Waffen. Es folgt eine instabile Zeit ohne feste Regierung, in welche sie hineingeboren wird. Der Vater ist Goldsucher und Rebiya wird als drittes Kind unter ungünstigsten Bedingungen mitten im Gebirge geboren. Dass das kleine Mädchen nicht nur überlebt, sondern man nach langer Durststrecke auch noch Gold findet, wird als Wunder betrachtet. „Du gehörst nicht uns, du gehörst dem Volk“, sagen die Eltern.

Die Kommunisten kommen
1949, Rebiya lebt mit ihrer Familie in Sarsumba, übernehmen die Kommunisten Xinjiang. Sofort wird mit der Liquidierung der Klassenfeinde begonnen. Reiche und Intellektuelle werden zu tausenden umgebracht. Es folgt eine geplante Masseneinwanderung von Han-Chinesen in die Region, die die Idee des Sozialismus verbreiten sollen. Mitte der fünfziger Jahre wird die Landwirtschaft kollektiviert und Jahrhunderte alte uigurische Landwirtschaftstraditionen durch standardisierte Militärfarmen ersetzt. Dieser schwere Fehler wird zur schlimmsten Hungersnot in der Geschichte mit über 30 Millionen Toten führen. Unternehmer werden enteignet und vertrieben, so auch Rebiyas Vater. In einem nahen Dorf gelingt es ihm jedoch erneut, eine Existenz aufzubauen. Doch die Situation für die Uiguren verschlechtert sich zunehmend. Das kommunistische System des gegenseitigen Misstrauens, mit dem Ziel der Aufspürung der Klassenfeinde, schleicht sich in die muslimische Gemeinschaft hinein.

Niemand vertraut niemandem, Menschen verschwinden und tauchen nicht wieder auf. Gebetet wird nur noch heimlich, Häuser werden durchsucht. 1957 ruft Mao zur berühmten Kritik an der Partei auf. Wer sich zu Wort meldet, verschwindet für immer. „Alle“, so schreibt Frau Kadeer, „sollten dasselbe denken, dasselbe sagen.“ Die Aufrufe der Partei werden immer grotesker. Plötzlich sollen alle bei der Stahlbeschaffung mithelfen, wobei die Landwirtschaft vernachlässigt wird, um in 15 Stundenschichten Alteisen zu sammeln und zu schmelzen. Auch dies ein Grund für die kommenden Hungerjahre. Als hätte man damit nichts zu tun, werden schlichtweg die Getreide fressenden Spatzen zu Staatsfeinden erklärt und ausgerottet, die Folge ist eine Insektenplage. Als nächstes sind die Mäuse dran. Die bizarren Befehle der Partei nehmen den Uiguren jegliche Kraft zur Bewahrung ihrer Kultur, und genau das ist der Plan. Es kommt zu einem Aufstand der Menschen, die Teilnehmer werden erschossen. „Die Toten sind nützlich“, sagt Mao dazu, „sie düngen den Boden.“ In der Folge einer Vertreibungsmaßnahme ist eines Tages auch Rebiyas Familie betroffen. Nur mit ein paar Stoffsäcken bepackt machen sie sich auf den Weg in das weit südlich gelegenen Aksu, der Vater bleibt.

Der Widerstand in ihr erwacht
In Aksu wird schnell klar, dass schlechte Zeiten bevorstehen. Geld und Nahrung werden knapp, die eigenen Nachbarn verhungern. Als ihre Mutter krank wird, beschließt die nun fünfzehnjährige Rebiya zum Wohl ihrer Familie, den Heiratsantrag des aus gutem Hause kommenden Jungen Abdirim anzunehmen. Bald darauf bekommt sie ihr erstes Kind. 1966 beginnt die große proletarische Kulturrevolution, und wieder beginnt die Jagd nach Konterrevolutionären. Vor allem auf Uiguren hat es der durch die Straßen ziehende Mob abgesehen, und Rebiya gerät ihrer offenen Sprache gegen die Kommunisten schnell ins Fadenkreuz. Des Öfteren wird sie auf eine Anklagetribüne gezerrt, aus trivialen Gründen wie einem nicht aufgehängten Mao-Bild. Auf der Bühne muss sie sich vom wahnsinnig geworden Volk beschimpfen, umerziehen lassen. Intellektuelle trifft es besonders hart. Der Schriftsteller Zunun Kadeer trägt, bis auf die Unterhosen entkleidet, ein Schild um den Hals: „Zunun Kadeer muss vernichtet werden“, ist darauf zu lesen. Männer mit hohen Berufen werden degradiert: „So kam es“, so Kadeer, „dass Ärzte Böden wischten und Putzfrauen Kranke operierten.“ „Schüler folterten ihre Lehrer.“ Nun wird auch Abdirim, hoher Beamter, zur Zielscheibe. Häuser werden durchsucht und alle Bücher verbrannt, Schweine in die örtliche Moschee getrieben. Als ihre Mutter im Sterben liegt, bringt das ihr inneres Fass zum überlaufen. Sie schwört sich, alles zu tun, um das Land von seinen Besatzern zu befreien. 1976, sie hat bereits ihr viertes Kind, trennt sie sich von ihrem gewalttätig gewordenen Mann.

Der Weg zum Reichtum und Einfluss
Die Notlage, in der sie sich, ohne Geld in der Tasche, nun befindet, setzt ungekannte Kräfte in ihr frei. Zunächst eröffnet sie eine kleine Wäscherei, die unterste Tätigkeit überhaupt, und schnell verdient sich ihren Lebensunterhalt selbst. Ihr Geschäftssinn erwacht nun. Einen Ratschlag, mit Lammfellen zu handeln, setzt sie sofort in die Tat um und kommt zu einem kleinen Vermögen. Obwohl verboten, wirkt das Leben als selbstständige Geschäftsfrau als Befreiung für sie. Auf der Suche nach neuen Waren reist sie durchs ganze Land und 1978, als der Kapitalerwerb erlaubt wird, ist sie bereits eine reiche Frau. Sie lernt den ehemaligen Widerstandskämpfer Sidik Rouzi kennen, den sie bald darauf heiratet und mit dem sie sich in Ürümqi niederlässt. Auf ihren Reisen sieht sie, entgegen der immer positiven Propaganda der kontrollierten Medien, die ärmlichen Zustände der Landbevölkerung: „Die meisten Menschen vegetierten am Rande des Existenzminimums dahin. Sie schienen anzunehmen, ohne Rechte auf die Welt gekommen zu sein.“

In Lop Nur wird sie Zeuge der Konsequenzen eines atomaren Testgebietes, dessen Bewohner nicht evakuiert worden waren: „80 Prozent der Menschen, die ich erblickte, waren behindert. Neugeborenen fehlten Augen und Ohren. Vielen waren die Haare ausgefallen. Die Leute waren ahnungslos, warum sie so krank waren.“ Die Provinzpolizei bezeichnet Sie als „gesetzlich legitimierte Gangster“. Auf sie aufmerksam geworden, verfolgen sie alle ihrer Schritte und konfiszieren ohne Angabe von Gründen ganze LKW-Ladungen, wobei sie ihr ganzes Vermögen verliert. Obwohl wieder mittellos, wird aus einem kleinen Bauchladen Ürümqi schnell ein Basar mit ihr als Leiterin. Schnell kommt sie wieder zu Geld, mit dem sie wiederum einen eigenen Markt aufbaut. Sogar ein Kaufhaus lässt sie bauen, dessen Läden ausschließlich an Uiguren gehen. Sie gründet eine Schule für mittellose Straßenkinder. Durch ihren Erfolg berühmt geworden, wird sie Abgeordnete des Volkskongresses in Xinjiang. Kurz darauf beruft man sie in den nationalen Volkskongress von ganz China.

Der Fall
„Geld war das Wichtigste Mittel, um den Leuten beizubringen, was Demokratie war.“ Im Volkskongress nutzt sie die Möglichkeit, die Probleme Xinjiangs zu schildern, spricht über Korruption, hohe Arbeitslosigkeit unter den Uiguren, den Ausschluss uigurischer Kinder am chinesisch-sprachigen Unterricht, die brachiale Zerstörung der Umwelt durch chinesische Siedler und das Ausreiseverbot für uigurische Geschäftsleute. Sie fordert eine Entschädigung für die Strahlenopfer und einen Einwanderungsstopp für Han-Chinesen. Sie weist auf die tausenden von Mädchen hin, die in gezielten Kampagnen in die chinesischen Städte gekarrt werden, und im Gegensatz zum Glauben ihrer Eltern in der Zwangsprostitution landen. Im gleichen Atemzug zeigt sie sich empört über die gezielte Einsiedlung aids-kranker chinesischer Prostituierter nach Xinjiang. Sie kritisiert das Verbot auf freie Meinungsäußerung. Sie bemerkt, dass im Gegensatz zu Tibet die Welt nicht zu wissen scheint, was in Xinjiang vor sich geht.

Dahinter vermutet sie Wang Lequan, Vizepräsident von Xinjiang, der ein falsches Bild über die autonome Region schildere. Bloßgestellt durch Rebiya Kadeer, wendet sich dieser gegen sie: „Sie werden die Konsequenzen zu spüren bekommen. Ihre Zukunft ist hiermit zu Ende.“ 1995 beginnt die Propagandakampagne hart zuschlagen. Wieder kommt es zu Aufständen, Verhaftungen und Exekutionen, wie 1997 in Ily: „Manchen hatten die Polizisten die Zähne einzeln herausgerissen. Die Verwundeten wurden in die Gefängnisse transportiert und dort auf den Boden geworfen. Es herrschten fast minus 20 Grad. In diesem Zustand der Umarmung sind sie erfroren.“ Die Freiheit der Uiguren in ihrem eigenen Land ist gestorben. Auch Rebiyas Ehemann Sidik, Verfasser kritischer Zeitungsartikel, gerät ins Visier und flieht ins amerikanische Exil, wo er sofort mit öffentlichem Protest gegen China beginnt. Doch Rebiya bleibt, sie will kämpfen. Noch einmal redet sie im Volkskongress. Ihre zensierte Rede verwirft sie und spricht sich in Rage: „Ich bin ziemlich sicher, dass der Präsident und die Abgeordneten in diesem Saal nicht richtig informiert sind über die wahre Lage in Xinjiang.“ Kurz darauf wird sie von all ihren Ämtern enthoben, ihr Pass entzogen, ihr Büro geschlossen, jeder ihrer Schritte überwacht.

Inhaftiert
Als sie eine amerikanische Abgeordnete in Ürümqi treffen möchte, beschuldigt man sie des Verrats und verurteilt sie zu acht Jahren Haft. In Liudaowan, einem der schlimmsten Gefängnisse, beginnt der Alptraum. Aber auch hier beweist sie ihren Mut: „Es ist mir gleich, ob du mich als Gefangene oder als Schuldige ansiehst. Ich werde mich selbst niemals als solche betrachten. Es ist mir gleichgültig, ob du mich schlägst oder tötest“, sagt sie zu einer Wärterin. In der Tat will man nicht, dass sie das Gefängnis lebend verlässt. Man entzieht ihr den Schlaf, wirft sie in Dunkelhaft und gibt ihr monatelang keinen Freigang. Doch das internationale Interesse an Rebiyas Verbleib ist groß, Menschenrechtsorganisationen setzen sich für sie ein. Nach über fünf Jahren gibt die Regierung diesem Druck nach und schickt Rebiya ins amerikanische Exil. Ihre verbliebenen Kinder aber behält man hier und verabschiedet sie mit den Worten: „Falls du es dir anders überlegen solltest und der Weltöffentlichkeit verrätst, was du hier erlebt hast, und dich weiter für Menschenrechte einsetzt, dann wirst du in einem Ausmaß, wie du es dir bisher nie vorgestellt hast, erleben, was mit deinen Kindern und deinen Geschäften geschehen wird. Sie sind dann erledigt.“

Anmerkungen
Rebiya Kadeer wurde wiederholt zum Friedensnobelpreis nominiert und setzt sich bis heute weltweit für die Menschenrechte der Uiguren ein. In Amerika wurde bereits ein Mordanschlag auf sie ausgeübt. Von ihren verbliebenen Kindern in Xinjiang fehlt jede Spur. Immer wieder gibt es gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen verzweifelten Uiguren und der Polizei, zuletzt im Juni 2013 in ‘Lukqun’. 27 Menschen wurden getötet.

Buchempfehlung: Y.C. Kuan: Mein Leben unter zwei Himmeln
Wer sich für die Kulturrevolution in China interessiert, muss dieses Buch einfach lesen. Y. C. Kuan erlebt das Ende des Kaiserreiches, die Invasion der Japaner und schließlich den Kommunismus unter Mao. Obwohl er alles für die Revolution gibt, gerät er doch ins Fadenkreuz. Y. C. Kuan erzählt uns, was das fast abstrakte Wort Kommunismus wirklich für einen Menschen bedeutet.

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