Maria Blumencron – Flucht über den Himalaya: Tibets Kinder auf dem Weg ins Exil (Buchrezension)
Zwei erfrorene Kinder inmitten einer Welt aus Schnee, irgendwo im Himalaya, bewegen eine junge Frau dazu, ihr Leben zu verändern.
Als die mäßig erfolgreiche Schauspielerin eines Nachts im Wohnzimmer ihres besten Freundes durch die Programme zappt, verweilt Sie bei den zwei leblosen Körpern und fragt sich, wie es dazu kommen konnte. Haben sie sich verirrt, wurden vergessen, wegen Schwäche zurückgelassen, oder gerieten in die Hände skrupelloser Schlepper? Und vor allem, wo waren die Eltern zur Zeit des Unglücks, wüssten diese überhaupt davon? Die Bilder lassen sie nicht mehr los, brennen sich in ihr Gedächtnis, und sie beschließt, ins indische Ladakh zu reisen, Klein Tibet.
Zermürbung eines Volkes
Was sich vor ihr ausbreitet, ist ein tragischer Konflikt zwischen China und Tibet, dessen Konsequenzen vor allem jene zu spüren bekommen, die am wenigsten dafür können. Kinder, tibetische Kinder. Systematisch wird die tibetische Bevölkerung durch die chinesische Regierung an den Rand der Gesellschaft in eine existenzbedrohende Lage gebracht. Die Methoden sind effizient, zermürbend und absolut. Chinesisch sprachiger Unterricht ab der zweiten Klasse schließt tibetische Kinder von quasi von jeglicher höherer Bildung aus. Hohe Strafen müssen bezahlt werden für den Verstoß gegen eine sinnlose Zweikind-Politik in einer ländlichen, endlosen Weite, in der auf die Aufzucht von Yaks spezialisierte Familien auf mehrere Kinder angewiesen sind. Neue Kasinos und eingeführte Prostitution führen zu Alkoholismus der Väter, zu Armut und zum Verfall von Familien. Um dem Nachwuchs eine lebenswerte Zukunft zu bieten, gibt es nur einen Ausweg, die vom Dalai Lama gegründeten Kinderdörfer im nordindischen Exil. Das Problem dabei: Die Reise führt quer durch den Himalaya.
Flucht als letzter Ausweg
Um den Westen auf dieses Dilemma aufmerksam zu machen, um zu helfen, beschließen Blumencron in Begleitung von Kameramann Richy und ihrem Freund Jörg, eine Flüchtlingsgruppe auf ihrem Weg nach Dharamsala, der größten tibetischen Exilgemeinde, zu begleiten. Erst im zweiten Anlauf gelingt mit Hilfe von Mittelsmännern die Zusammenkunft mit Nima, einem Flüchtlingsguide, der tagein tagaus durch das menschenfeindliche Gebirge wandert mit dem einzigen Ziel, den Willen der in Tränen zurückbleibenden Eltern zu erfüllen und die Kinder durch das tödliche Gebirge zu führen. Seine Gruppe, bestehend aus den Kindern Dhondup, Little Pema, Chime, Dolkar, Tamding und Lakhpa sowie einigen Erwachsenen, macht sich erbärmlich ausgerüstet auf den Weg.
Die Hintergründe der Reisenden sind denkbar unterschiedlich. Da ist die kleine Pema, die von ihrem dem Alkohol verfallenen Vater halbtot geprügelt wurde. Die Schwestern Chime und Dolkar, dessen Familie durch die Spielsucht des Vaters in die Armut getrieben wurde. Tamding, das dritte, verbotene Kind, für das die Familie die hohen Strafzahlungen nicht mehr aufbringen kann. Suja, der der Als Folterknecht in chinesischen Gefängnissen seine eigenen Landsleute misshandeln musste, bis er von einem inhaftierten Mönch die Wahrheit über die chinesischen Machenschaften erfährt und ein neues Leben im Exil beginnen will. Dhondup, aus betagtem Hause stammend, dessen Eltern ihm eine gute Ausbildung ermöglichen wollen. Blumencron erzählt diese Hintergründe meisterhaft und beschreibt die missliche Lage der verschiedenen Familien aus Sicht der Eltern und der Kinder.
Eine wahre Begebenheit
Äußerste Strapazen, Hunger und Durst, Kälte und der Schmerz der Trennung mit den Eltern werden schonungslos dargestellt. In den von Jetzun Pema, der Schwester des Dalai Lamas geführten Kinderdörfer soll fernab der Heimat die neue Elite für den Tag X ausgebildet werden. Der Tag, an dem Sie in ihre Heimat zurückkehren werden. Denn dieser, so der Dalai Lama, wird kommen, irgendwann. Man würde dieser Geschichte vielleicht nicht glauben, wenn man nicht wüsste, dass sie auf wahrer Begebenheit beruht. Maria Blumencron zeigt uns, was hinter der vor Selbstbewusstsein strotzenden Fassade Chinas passiert, während der Rest der Welt wegsieht.
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